Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
übrig haben. Die beste Beschreibung, die ich je gehört hatte, stammte indessen weder von einem Soldaten noch von einem Opfer. Wir hatten einmal einen Serienmörder in einer Isolierzelle im Ersten Revier, und dieser Mann gab einer Reporterin von der Times-Picayune ein Interview. Ich werde seine Worte nie vergessen:
»Es gibt kein geileres Gefühl auf der Welt. Die ertrinken förmlich, wenn man auf sie zielt. Sie betteln und pissen sich in die Hosen. Sie weinen, sie bitten einen, jemand anderen zu töten, sie verstecken sich hinter ihren Händen. Es ist, als ob man zusieht, wie jemand zu einem Pudding zusammenschmilzt.«
Aber ich konnte natürlich nicht wissen, welchen Kampf Jimmie gerade in sich ausfocht. Vielleicht ging in Jimmie auch überhaupt nichts vor. Morgen würden sie mit Bohrer und Meißel seinen Schädel öffnen und die Knochensplitter und Bleistückchen entfernen, die in seinem Hirn steckten. Aber vielleicht würden sie nicht einfach nur Gehirnzellen finden, die zerquetscht und geplatzt waren, als habe man sie mit einem Eispfriem malträtiert. Es sei durchaus möglich, daß die Verletzungen doch schlimmer seien, hatte der Arzt gesagt, wie die abgestorbenen, breiigen Ränder einer angestoßenen Frucht. In diesem Falle könnte sein Verstand so weit degenerieren, daß seine Gedanken wenig mehr wären als Muster im sandigen Meeresboden, die unter den monotonen Bewegungen von Ebbe und Flut ständig wechseln.
Gegen fünf Uhr hatte ich den Wagen einen Block vom Ersten Revier entfernt an der Basin Street geparkt, als Clete nach Dienstschluß aus dem Gebäude kam. Ich folgte ihm wieder zur Greyhound-Busstation und sah zu, wie er in zweiter Spur parkte, hineingingund ein paar Minuten später wieder in seinen Wagen stieg. Obwohl ich jetzt sicher war, was er dort machte, konnte ich es immer noch nicht glauben. Laut Vorschrift waren wir verpflichtet, sowohl während des Dienstes als auch nach Feierabend unsere Waffe zu tragen, aber die Ängste seiner Frau und ihre Abneigung gegen Revolver hatten offenbar ausgereicht, daß er sich eine unglaubliche Blöße gab.
Ich beobachtete, wie er seinen Wagen wieder in den Verkehr einfädelte, dann fuhr ich zu einem Gartencafé an der Decatur Street, gegenüber vom French Market, setzte mich an die Fischbar und aß eine Schale Shrimp Gumbo und zwei Dutzend frische Austern und las die Nachmittagszeitung. In dem Café saßen lauter junge Leute, die karibische Musik aus der Jukebox hörten, Jax-Bier vom Hahn tranken und Unmengen Austern verzehrten, kaum daß der Neger hinter dem Tresen sie aus den Eiskästen gefischt, geöffnet und auf einem Tablett angerichtet hatte. Nachdem der Verkehr ein wenig nachgelassen und die Straßen sich in den länger werdenden Schatten etwas abgekühlt hatten, fuhr ich zurück zu Cletes Haus in einer Seitenstraße der Carondelet.
Als er mir die Tür öffnete, hielt er eine Dose Bier in der Hand und trug ein paar ausgebeulte Schwimmshorts und ein T-Shirt mit dem Aufdruck DON’T MESS WITH MY TOOT-TOOT auf der Brust. Seine Augen wirkten leicht glasig, und ich hatte den Verdacht, daß er auf das Abendessen verzichtet und sich einem weiteren Abend der Selbstzerfleischung gewidmet hatte.
»He, Dave, wie sieht’s aus?« begrüßte er mich. »Komm mit raus auf die hintere Veranda. Ich bin grade dabei, ein paar künstliche Fliegen zu binden. Ich hab mir gedacht, ich fahr nach Colorado rauf und geh ein paar Forellen angeln.«
»Wo ist Lois?«
»Sie ist mit den Mädchen ins Kino. Ich glaube, die sehen sich mindestens zehn Filme pro Woche an. Aber ich hab nichts dagegen. Sie kriegt verbilligte Karten von der Bank, und außerdem ist es besser für sie, als ständig vor der Glotze zu hängen und MTV zu gucken. Es sind schließlich ihre Kinder, stimmt’s? Aber sag mal was anderes. Habe ich dich nicht heut vormittag unten an der Canal Street gesehen?«
»Schon möglich.«
»Willst du Jimmie besuchen?«
»Ich war heut nachmittag bei ihm.«
»Oh. Wie geht’s ihm?«
»Er wird morgen noch mal operiert. Danach wissen wir mehr.«
»Die Sache mit ihm tut mir echt leid. Er ist ’n guter Kerl.«
»Vielen Dank, Clete. Ich weiß es zu schätzen.«
»Entschuldige das Durcheinander hier draußen. Schmeiß die Zeitschriften einfach auf den Boden und setz dich hin. Willst du ’ne Cola oder ’nen Kaffee oder sonst was?«
»Nein, danke.«
Er hatte die Sonnenterrasse vor drei Jahren selbst gebaut. Sie sah aus wie eine Keksdose, die er hinten an das Haus genagelt
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