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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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kurz zu meinem Boot rüber und mir was anderes anziehen, dann gehen wir zusammen in ein italienisches Restaurant am See. Die machen eine Lasagne, die Ihnen das Herz bricht.«
    »Ich glaube nicht, daß ich in der Lage bin, irgendwo hinzugehen«, erwiderte sie.
    »Na gut, dann geh ich zu dem Chinesen an der St. Charles Avenue und hol uns ’ne Kleinigkeit. Ich bin in ein paar Minuten zurück.«
    Einen Augenblick lang starrte sie schweigend in den Raum.
    »Wäre es schlimm, wenn ich Sie bitten würde, jetzt noch nicht zu gehen?« fragte sie dann.
    »In Ordnung. Aber hören Sie – keinen Alkohol. Ich mache Ihnen statt dessen ein Glas warme Milch und vielleicht ein Omelette dazu.«
    Ich nahm ihr den Whiskeybecher aus der Hand. Dann sah sie mir mit einem verzweifelten Ausdruck in die Augen, ein Zucken lief um ihren Mund, und die Tränen strömten ihr über die Wangen.
    »Er hat mich überall angefaßt«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Er hatte seine Hände überall. Und der andere hat die ganze Zeit zugesehen.«
    Sie weinte jetzt heftig, das Kinn auf die Brust gedrückt, und ihre Schultern bebten.
    »Hören Sie, Annie, Sie sind sehr tapfer gewesen«, sagte ich zu ihr. »Sie wissen es vielleicht nicht, aber Sie haben mir das Leben gerettet. Wie viele Menschen hätten das fertiggebracht, was Sie getan haben? Die meisten stellen sich einfach tot, wenn sie plötzlich mit brutaler Gewalt konfrontiert werden. So ein Typ kann jemand wie Ihnen nichts anhaben.«
    Sie hatte die Arme um den Bauch geschlungen und den Blick auf die Tischplatte gesenkt.
    »Kommen Sie mit rüber ins Wohnzimmer und setzen Sie sich zu mir auf die Couch«, sagte ich. Ich legte ihr den Arm um die Schultern und geleitete sie zum Diwan. Dann setzte ich mich neben sie und hielt ihre Hände. »Was um uns herum vorgeht, zählt nicht. Darüber haben wir keine Gewalt. Entscheidend ist nur, wie wir damit umgehen, wie wir darauf reagieren – das allein ist wichtig. Sie machen sich doch auch keine Vorwürfe oder schämen sich, wenn Sie sich einen Virus einfangen, oder? Hören Sie, ich will ganz offen mit Ihnen sprechen. Sie haben sehr viel mehr Mut bewiesen als ich. Ich war auch schon mal in einer Situation, wo mir etwas sehr Schlimmes zugestoßen ist, aber ich hatte nicht den Mut, den Sie bewiesen haben.«
    Sie schluckte. Ihre Augen weiteten sich, und sie berührte mit dem Handrücken ihre tränenfeuchten Wangen. Bei jedem Atemzug, den sie machte, lief immer noch ein Zucken über ihr Gesicht, aber sie hörte mir jetzt aufmerksam zu.
    »Ich war in Vietnam, kurz nach Beginn des Krieges«, fuhr ich fort. »Ich war ein hitzköpfiger junger Leutnant, hatte ein Diplom in englischer Literatur und war überzeugt, auf alles vorbereitet zu sein. Warum auch nicht? Es war nie besonders hart gewesen, seit ich dort war. Der Vietcong knallte immer wieder mit seinem uralten japanischen und französischen Schrott auf uns, den er heißgemacht und um einen Baum gebogen hatte. Meistens flog ihnen das Zeug selber um die Ohren. Aber eines Tages durchkämmten wir eine Kautschukplantage und trafen dabei auf ganz neue Kontrahenten – reguläre nordvietnamesische Truppen, ausgerüstet mit AK-47 Sturmgewehren. Sie lockten uns in vermintes Gebiet und rieben uns auf. Wenn einer von uns versuchte, umzukehrenund zurückzukriechen, wurde er entweder von einer Tretmine zerrissen oder vom feindlichen Kreuzfeuer durchsiebt. In weniger als fünfzehn Minuten verloren wir zehn Mann, worauf sich unser Captain ergab. Sie brachten uns durch die Gummipflanzung zu einem kleinen Flußbett, wo die Artillerie der ARVN ein Vietcong-Dorf beschossen und zahlreiche Zivilisten getötet hatte. Überall im Wasser und an den Ufern des Flusses lagen tote Kinder und Frauen und alte Leute. Ich rechnete damit, daß man uns am Fluß aufstellen und umlegen würde, damit wir den anderen Gesellschaft leisteten. Statt dessen zogen sie uns die Tarnanzüge aus und banden uns mit Klaviersaiten, die sie aus einem alten, zerschossenen Flügel im Herrenhaus gerissen hatten, die Hände an die Bäume. Dann verspeisten sie unsere Rationen, rauchten unsere Zigaretten und urinierten abwechselnd auf uns. Wir saßen auf dem Erdboden wie geprügelte Hunde und ließen alles über uns ergehen. Ich machte unserem Hauptmann Vorwürfe, weil er sich ergeben hatte. Ich empfand sogar eine gewisse Befriedigung, als sie auf ihn urinierten. Aber dann passierte etwas anderes, was mir später wirklich ein paar Bretter ans Hirn nagelte.
    Ein

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