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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Kampfhubschrauber flog vorbei und entdeckte uns, und etwa zehn Minuten später kam ein Trupp Ranger und Scouts durch dasselbe Minenfeld, um uns herauszuhauen. Wir waren der Köder in dieser Rattenfalle. Ich hörte, wie die Sturmgewehre und die Tretminen losgingen, ich hörte unsere Jungs schreien, ich sah Blut und menschliche Gliedmaßen zwischen den Bäumen explodieren, und ich war froh, daß ich nicht dabei war, daß ich völlig bepißt dalag und sicher war vor dem Horror da draußen, in dem diese Männer draufgingen bei dem Versuch, uns zu befreien.
    Früher hab ich mir oft einzureden versucht, daß die Empfindungen, die ich hatte, gar nicht meine Empfindungen waren, und daß das, was mir damals durch den Kopf ging, gar nichts mit dem Ausgang der Sache zu tun hatte. Manchmal wollte ich einfach alle Nordvietnamesen und Vietcongs töten, die ich finden konnte. In Wirklichkeit war es aber einfach so, daß ich, ehe ein paar Hueys die ganze Szenerie in einen einzigen Feuersturm verwandelten, tatsächlich froh war, weil jemand anders als ich da draußen zu Hackfleisch verarbeitet wurde.
    Das hab ich gemeint, als ich vorhin sagte, die meisten stellensich einfach tot. Sie dagegen sind aus ganz anderem Holz. Sie haben außergewöhnlichen Mut – daran kann auch kein schwachsinniger Hinterwäldler was ändern, den ich zur Schnecke mache, wenn ich ihn in die Finger kriege.«
    »Ihre Reaktion war nur menschlich, Sie konnten gar nicht anders«, antwortete sie.
    »Das mag sein, aber heut abend waren Sie der bessere Soldat, besser als ich in Vietnam je war, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen.« Ich strich ihr mit einer Hand die blonden Locken aus der Stirn. »Abgesehen davon sind Sie auch noch ungleich hübscher.«
    Sie sah mich unverwandt an.
    »Hübsch und tapfer. Das ist eine unschlagbare Kombination«, ergänzte ich.
    Das Blau ihrer Augen, das etwas Kindliches hatte, rührte mich tief in meinem Innern an.
    »Was meinen Sie, wollen Sie jetzt vielleicht doch etwas essen?« fragte ich.
    »Gern.«
    »Mein Daddy war ein großartiger Koch. Er hat mir und meinem Bruder alle seine Rezepte beigebracht.«
    »Ich glaube, er hat Ihnen auch sonst ’ne Menge beigebracht. Ich finde, Sie sind wirklich ein ungewöhnlicher Mann.«
    Ihre Augen strahlten mich an. Ich drückte ihre Hand, die sich immer noch kalt und formlos anfühlte. Dann ging ich in die Küche, wo ich einen Topf Milch heiß machte und ein Omelette mit Frühlingszwiebeln und Weißkäse bereitete. Wir setzten uns zum Essen an den Couchtisch, und ich sah, wie ihr Gesicht langsam wieder Farbe annahm.
    Ich brachte sie dazu, mir von ihrer Familie, ihrem Elternhaus, ihrer Musik und ihrer Arbeit zu erzählen – all das, was ihr Leben bestimmt hatte, ehe Bobby Joe sie mit seinen gierigen Händen überall berührt hatte. Sie sagte mir, daß sie auf einer Weizen- und Hirsefarm nördlich von Wichita in Kansas aufgewachsen sei, daß ihre Mutter den Mennoniten angehört und für deren Entwicklungshilfeprogramm gearbeitet hatte und ihr Vater in direkter Linie von John Brown, dem berühmten Abolitionisten, abstammte. Sie schilderte mir die Landschaft von Kansas als ein gewelltesgrünes Land, durchzogen von träge dahinströmenden Flüssen und immer wieder mit Gruppen von Eichen, Pappeln und Hartriegel aufgelockert, ein weites Land ohne Horizont unter einem heißen blauen Himmel, der an Sommerabenden mit dem Gesang der Zikaden erfüllt war. Aber es war auch ein Land, das von religiösen Fanatikern, Prohibitionsanhängern und rechtsradikalen Schwachköpfen bevölkert war, und auf der anderen Seite standen Atomkraftgegner und etliche rabiate Gruppen aus der Antikriegsbewegung. Das Ganze klang wie ein großes Irrenhaus unter freiem Himmel. Jedenfalls war es das für sie gewesen, denn sie war nach New Orleans an die Tulane Universität gegangen, um hier Musik zu studieren, und hatte die Stadt seitdem nicht wieder verlassen.
    Jetzt breitete sich Müdigkeit auf ihrem Gesicht aus.
    »Ich glaube, für ein kleines Mädchen, das ich kenne, ist es Zeit, ins Bett zu gehen«, sagte ich.
    »Ich bin nicht müde, wirklich nicht.«
    »Ach wirklich?« Ich legte meinen Arm um sie, drückte ihren Kopf an meine Schulter und berührte mit den Fingerspitzen sanft ihre Augen, um sie zu schließen. Ich fühlte ihren regelmäßigen Atem an meiner Brust.
    »Ich bin kein kleines Mädchen, ich bin siebenundzwanzig«, sagte sie mit schläfriger Stimme.
    Ich schob meinen anderen Arm unter ihre Knie und trug sie ins

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