Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Schlafzimmer, wo ich sie vorsichtig auf das Bett gleiten ließ. Ich zog ihr die Schuhe aus und legte die Bettdecke über sie. Sie sah mich vom Kissen aus an und legte ihre Hand um meinen Nacken.
»Geh nicht«, bat sie.
»Ich schlafe auf der Couch im Wohnzimmer«, antwortete ich. »Morgen früh gehen wir zusammen auf den French Market frühstücken. Wenn du heute nacht noch Lärm hören solltest, dann bin nur ich es. Ich laufe nachts immer eine ganze Weile rum.« Dann löschte ich das Licht.
Es stimmte. Normalerweise schlief ich nicht besonders gut. Manchmal waren es latente Erinnerungen an den Krieg, aber meistens konnte ich einfach nicht schlafen, weil ich allein war. Selbst die wie Mönche lebenden Heiligen hatten nie die nächtliche Einsamkeit gepriesen. Ich sah mir nacheinander drei Spätfilmeim Fernsehen an, bis draußen in den Bäumen das erste Licht des Tages zu dämmern begann. Als ich endlich einschlief, geschah das in dem Bewußtsein, daß das Tageslicht nur noch kurze Zeit entfernt war und sich meine schmerzhafte zölibatäre Einsamkeit, meine angeschlagenen moralischen Prinzipien und meine sämtlichen alkoholischen Drachen bald auf vertraute und erträgliche Weise auflösen würden.
Der Mann, den ich manchmal als den fehlgeleiteten Sproß meines Vaters betrachtete, rief mich kurz vor Mittag an und bat mich, zum Lunch in sein Restaurant an der Dauphine Street zu kommen. Eigentlich war mein Halbbruder Jimmie, den die meisten Leute für meinen Zwillingsbruder hielten, auf seine Weise durchaus ein Gentleman. Er besaß den gleichen Humor und den gleichen Sinn für Gerechtigkeit wie unser Vater. Er brachte nicht nur seinesgleichen, sondern auch denen, die weit unter ihm standen, Achtung und Respekt entgegen, und er bezahlte immer pünktlich seine Spielschulden. Außerdem hatte er eine überaus ehrenhafte Einstellung Frauen gegenüber, die schon fast viktorianisch wirkte – vielleicht weil seine Mutter angeblich eine Prostituierte aus Abbeville gewesen war, auch wenn keiner von uns beiden sich an sie erinnern konnte. Aber er war auch tief verstrickt in illegale Wettgeschäfte und den Handel mit Poker- und anderen Glücksspielautomaten. Diese dunklen Geschäfte waren auch der Ursprung seiner oberflächlichen, aber dennoch gefährlichen Verbindung mit Didoni Giacano.
Ich hatte mich mit ihm oft genug nicht nur wegen dieser Verbindung und seiner laxen Einstellung dazu gestritten, sondern auch wegen einiger anderer Dinge, die er sein Leben lang immer wieder tat, um irgendwie zu beweisen, daß er sowohl anders war als ich, zugleich aber nicht einfach nur mein Halbbruder und der uneheliche Sohn seines Vaters. Dabei konnte ich ihm nie lange böse sein, wie früher schon nicht, als wir noch Kinder waren und er immer wieder Pläne schmiedete, die unweigerlich schiefgingen und uns beide immer wieder in Schwierigkeiten brachten.
Obwohl er fünfzehn Monate jünger war als ich, hatten wir immer alles gemeinsam gemacht. Wir arbeiteten als Flaschenspülerin der Tabasco-Fabrik unten am Bayou, rupften im Schlachthaus Hühner für fünf Cents das Stück, stellten in der Bowlingbahn die Kegel auf, als nur wenige weiße Jungs bereit waren, in diesem mehr als vierzig Grad heißen Kegelgruben zu arbeiten, die voller fluchender, schwitzender Neger, herumfliegender Kegel und sauschwerer Bowlingkugeln waren, die einem glatt das Schienbein brechen konnten, wenn man nicht aufpaßte. Aber seinetwegen verloren wir beide unseren Job in der Tabasco-Fabrik, weil der Besitzer uns nicht auseinanderhalten konnte, als er versuchte, die Flaschen gleich massenweise zu spülen, indem er etwa ein Dutzend Jutesäcke mit ihnen füllte und sie mit Gewichten beschwert in der Strömung des Flusses versenkte. Im Schlachthaus wurden wir gefeuert, als er unsere Arbeit dadurch rationalisieren wollte, daß er sechs Dutzend Hühner auf einmal aus den Käfigen holte und sie in den Hof trieb, wo wir sie schlachten und dann in den riesigen Bottichen mit heißem Wasser abbrühen mußten; dabei brachen die armen Viecher in Panik aus, und viele von ihnen landeten bei ihrem Fluchtversuch in dem großen Lüftungsventilator des Stalls, wo sie von den Metallblättern zu Hackfleisch verarbeitet wurden.
Eines schönen, heißen Abends kam eine Gruppe harter Jungs, die unten an der Railroad Avenue wohnten, in die Bowlingbahn. Diese Burschen machten sich einen Spaß daraus, die zweite Kugel zu werfen, noch ehe der Kegelbursche Zeit hatte, die Kegel wieder aufzustellen.
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