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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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wie Sie schon vor Jahrhunderten auseinandergenommen.«
    Er grinste mich an wie ein Pitcher in der Schule, wenn ihm ein gefährlich geschnittener Ball gelungen war, bei dem man sich fast den Arm ausgerenkt hatte.
    Am Abend fuhr ich zum Campus der Tulane Universität, um mir das Konzert des Streichquartetts anzuhören, in dem Annie Ballard mitspielte. Sie sah bezaubernd aus, wie sie mit dunklem Rock und weißer Rüschenbluse auf der hellerleuchteten Bühne saß. Sie wirkte aufgeregt und konzentriert zugleich, während sie den Blick fest auf die Partitur auf dem Notenständer vor sich gerichtet hatte und mit dem Bogen über die Saiten ihres Cellos strich. Irgendwie hatte ihr Gesicht etwas wunderbar Kindlichesan sich, wie sie so spielte, einen Ausdruck, den man bei Menschen sieht, die eine Art Verwandlung durchzumachen scheinen, wenn sie sich mit etwas beschäftigen, das ihnen allein gehört. Nach dem Konzert waren wir zu einer kleinen Party im Freien irgendwo im Garden District eingeladen. Die Bäume waren mit japanischen Lampions geschmückt, die Scheinwerfer des Schwimmbeckens glommen gedämpft im smaragdgrünen Wasser, die Luft war schwer vom Duft des Jasmins, der Rosen und der frisch umgegrabenen und gewässerten Erde der Rabatten, und die schwarzen Kellner liefen mit großen Tabletts voller Champagnergläser und kühler tropischer Cocktails herum und boten sie den in Abendkleidern und Sommeranzügen erschienen Gästen an.
    Sie amüsierte sich großartig. Ich sah, daß der Schleier der Angst und des Selbsthasses, den Bobby Joe Starkweather in ihr geweckt hatte, aus ihren Augen verschwunden war, und sie tat ihrerseits ihr bestes, um mich vergessen zu lassen, was gestern nachmittag auf dem Rücksitz von Julio Seguras Cadillac geschehen war. Trotzdem blieb ich egoistisch.
    Ich konnte die Erinnerung an die zehn Sekunden nicht verdrängen, die zwischen dem Augenblick lagen, da der Torwächter seine Automatik aus der Seitentür gezogen hatte, und dem Moment, als die 45er in meiner Hand losging und Seguras Kopf im Innern des Wagens zerplatzte. Ich war überzeugt, daß Segura im Gegensatz zu den meisten bedauernswerten Typen, mit denen wir es sonst zu tun hatten, ein wirklich abgrundtief böser Mensch gewesen war, aber jeder, der schon mal auf einen anderen geschossen hat, kennt das schreckliche, vom Adrenalin aufgepeitschte Gefühl von Allmacht und Arroganz, das einen in solchen Augenblicken überkommt, und die heimliche Freude, mit der man auf die Gelegenheit reagiert, die sich einem da plötzlich bietet. Ich hatte es in Vietnam erlebt, und auch als Polizeibeamter war ich schon zweimal in einer solchen Situation gewesen, und ich war mir der Tatsache bewußt, daß das wilde, affenartige Wesen, von dem wir alle abstammen, in meinem Innern überaus lebendig war.
    Außerdem gingen mir ständig die Vorwürfe durch den Kopf, die mir Fitzpatrick in bezug auf meinen Glauben und meineMenschlichkeit gemacht hatte. Ich versuchte alles, um ihn einfach abzutun als kleinen Jungen, als Idealisten, als einen dieser scharfen Jungs von der Bundespolizei, die wahrscheinlich gegen eine Menge Vorschriften verstießen und am Ende früher oder später einfach ausrasteten. Wenn er nicht Agent des Schatzamtes wäre, dann wäre er sicher einer von denen, die Hühnerblut über Musterungsakten gossen. Ein halbes Dutzend von der Sorte konnte eine ganze Stadt in Brand stecken.
    Aber ich wurde ihn nicht so einfach los. Ich mochte ihn irgendwie, und er hatte meinen Stolz verletzt.
    Ich gab mir alle Mühe, mir einen schönen Abend zu machen. Die Gäste dieser Gartenparty kamen aus einer ganz anderen Welt als ich, aber sie wirkten angenehm und freundlich und gaben sich alle Mühe, mir gegenüber Höflichkeit zu zeigen. Auch Annie war ein wunderbares Mädchen. Wenn sie sah, daß ich in Gedanken nicht mehr bei unserer Unterhaltung war, legte sie sanft ihre Hand auf meine Hand und lächelte mich mit Blicken an. Aber es nützte nichts. Ich gab es schließlich auf, murmelte eine Entschuldigung, daß ich am nächsten Morgen früh arbeiten müsse, und fuhr sie nach Hause. Als wir auf der Veranda standen und ich ihr sagte, daß ich diesmal leider nicht mit reinkommen könne, sah ich den verletzten Ausdruck in ihren Augen.
    »Bist du gern allein, Dave?« fragte sie.
    »Nein. Das ist kein angenehmes Leben.«
    »Ein andermal, ja?«
    »Ja. Tut mir leid wegen heut abend. Ich ruf dich morgen an.«
    Sie lächelte, und dann war sie verschwunden. Als ich nach Hause fuhr,

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