Neonträume: Roman (German Edition)
zu hören: » Verpiss dich! Meine Eltern kommen gleich her! Ich rufe die Bullen! Arschloch! Scheißkerl! Verbrecher!« Dann kam abgerissenes Schluchzen, dann Stille. Erschöpft vom ewigen Poltern und Klopfen lehne ich mich mit dem Rücken an die Tür, trete noch ein paarmal mit dem Absatz gegen das Holz, dann rutsche ich langsam abwärts, bis ich auf dem Fußboden hocke, mit dem Rücken an der Tür. Um mich herum herrscht ein seltsames Gedröhne. Entweder vibriert die Tür, oder etwas pocht von innen gegen meine Schläfen. Ich bin kurz vorm Durchdrehen, ich habe das Gefühl, jeden Moment erwischt mich ein Herzinfarkt. Meine Nase läuft, die Augen tränen, dafür fühle ich meine Beine nicht mehr, und in meinem Kopf gibt es nur den einen Gedanken: Wenn sie die Tür nicht gleich aufmacht, werde ich verrückt.
Ich drehe mich um, lege meine Stirn an die Tür und fange an zu winseln: » Rita, Liebling, Mädchen, mach doch auf! Mach auf, ich flehe dich an! Bitte, bitte, mach doch die Tür auf!« Dann schalte ich innerhalb von Sekunden auf Hysterie und brülle durch das ganze Treppenhaus: » Rita, mach diese verdammte Tür auf! Hörst du? Mach auf, oder ich trete sie ein!« Dabei weiß ich sehr gut, dass ich dieses verflixte Ding eher mit meinen Tränen zum Verrosten bringe, als dass ich sie einschlagen könnte. Irgendwo über mir quietscht eine Tür, ich höre scharrende Schritte: Anscheinend eine Oma, die nachsieht, wem die Mafia gerade die Bude einreißt. Vorsichtshalber höre ich erst einmal auf zu randalieren. Wieder quietscht die Tür, ich nehme an, jetzt wird die Oma die Miliz rufen. Ich fange wieder an, auf Rita einzureden. Endlich, als vor meinen Augen schon bunte Sterne flimmern und ich mir die Stirn an der verdammten, herzlosen, beschissenen Tür schon komplett wundgescheuert habe, geht sie plötzlich auf. Ich plumpse wie ein Kartoffelsack in den Wohnungsflur.
Das Erste, was ich sehe, als ich meine Augen wieder aufmache, die ich vor Überraschung zusammengekniffen hatte, ist Ritas verheultes Gesicht in einer Wolke von Banknoten, die, wie in Zeitlupe, langsam auf mich herabregnen. Instinktiv hebe ich die Hände, als wollte ich etwas abwehren.
» Wahrscheinlich willst du wissen, was mit deinem Geld ist, stimmt’s, du Schuft?«, kreischt Rita. » Hier ist es! Da hast du dein Geld! Die ganzen zehntausend! Zähl nach!«
Mein letztes Hoffnungsfünkchen, dass alles nur ein dummer Streich war, erlischt.
» Rita, was soll das jetzt mit dem Geld?«, stottere ich. » Darum geht es mir doch gar nicht. Ich brauche das Geld nicht, das heißt… ich meine, ich bin nicht deshalb gekommen. Ich bin nur deinetwegen gekommen, versteh doch, nur deinetwegen…«
» Nimm dein beschissenes Geld und verpiss dich!«, schreit sie. » Ich kann dich nicht mehr sehen, nicht mehr hören, mir wird schlecht, wenn ich dich bloß rieche!«
Sie fängt an, wie eine Furie auf mich einzuprügeln. Ich schütze meinen Kopf mit den Armen, versuche, ihre Hände festzuhalten, aber sie lässt sich nicht bändigen und tritt mit den Füßen nach mir. Schließlich bleibt mir nichts anderes übrig, als sie in den Schwitzkasten zu nehmen und ins Wohnzimmer zu schleppen.
» Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt!«, heult sie. » Ich wollte Kinder haben, ich wollte… Du hast das alles… Warum hast du das getan? Warum?«
» Aber vielleicht ist ja alles nur ein Irrtum! Man muss den Test wiederholen«, beruhige ich sie und weiß doch gleichzeitig, dass alles, was ich jetzt sage, vollkommen sinnlos ist.
» Warum? Warum gerade ich?«, heult sie weiter. » Was habe ich denn getan?«
Ich schleife sie zum Sofa und zwinge sie, sich hinzulegen. Dann hocke ich mich vor ihr auf den Fußboden, streiche ihr beruhigend über den Kopf und rede irgendwelchen Blödsinn, um sie zu beruhigen.
» Wir gehen zusammen los und lassen noch einen Test machen! Bestimmt ist alles ein Irrtum! Bei mir gibt es keinerlei Anzeichen, verstehst du? Es wird alles gut, ich fühle es, glaub mir!«
» Du hast mich umgebracht«, krächzt Rita. » Wir werden beide sterben. Ein Jahr… vielleicht zwei oder drei, wenn’s hochkommt. Wir werden niemals Kinder haben… Mama… Meine arme Mama!«
Augenblicklich denke ich an meine eigenen Eltern, und ein Krampf schnürt mir die Kehle zusammen. O Gott, was habe ich getan? Und: Von wem habe ich es? Ich habe absolut keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, wie viele es waren, dieses Jahr. Woher soll ich dann wissen, welche davon…
» Scheißkerl!« Rita
Weitere Kostenlose Bücher