Neonträume: Roman (German Edition)
Yes-s-s-s-s-s!«, klicke auf Öffnen, schließe die Augen, zähle bis zehn und glotze gespannt auf das Display:
» Deine Disc ist voll scheiße. Wir sehen uns)))«
Zuerst traue ich meinen Augen nicht. Ich lese noch einmal, und dann überwältigt mich eine Welle des Zorns, steigt von ganz tief unten in meinem Bauch auf und schießt wie glühende Lava in meinen Kopf.
» Du bist scheiße!«, brülle ich. » Du inkompetentes Arschloch! Du Versager! Du Nichts! Du Spießer mit gefälschten Armbanduhren! Scheißkerl! Fahr zur Hölle, du Null! Die Syphilis sollst du dir holen!«
Halt, stopp… Stopp, stopp, stopp! Syphilis? Da war doch was! Verdammt: Rita… » Das Testergebnis ist da. Ich bin HIV -positiv.« Das habe ich nicht geträumt. Das ist echt. Oder?
Mir bricht der kalte Schweiß aus. Mit zitternden Händen suche ich nach meinem Handy und wähle Ritas Nummer. Nach unzähligen Klingelzeichen geht sie endlich ran.
» Ja?«, sagt sie mit heiterer Stimme.
» Hallo, Rita! Wie geht’s?«, beginne ich zuckersüß.
» Na, hast du einen Schnelltest machen lassen? Oder leidest du plötzlich unter extremem Nachtschweiß? Aber keine Angst, heutzutage kann man mit Aids ziemlich lange leben!«
» W…was?«, stottere ich, aber aus dem Apparat kommt nur noch der Wählton.
Ich rufe sofort wieder an, doch sie geht nicht ran. Ganz, ganz langsam lasse ich mich aufs Sofa sinken, spüre, wie mir das Grauen in die Knochen kriecht. Aids! Ich habe es nicht geträumt. Das ist der Super- GAU . Aber Moment mal, Mirkin, jetzt warte mal! Da stimmt doch was nicht! Du hast doch gar keine Symptome! Kein einziges! Also hast du auch kein Aids! Und sie hat es nicht von dir! Ist doch logo! Glaub mir, Mirkin, ich hab Recht! Also relax, Mann! Entspann dich! Leicht gesagt, Alter, bloß wie? Ich fühle mich wie eine straff gespannte Gitarrenseite. Mein ganzer Körper ist ein einziger Krampf. Jeder Muskel, jede Ader, jede… Verdammt! Das sind sie: die Symptome von Aids! Scheiße… Es stimmt also. Oder? Sind das die Symptome? Was für Symptome gibt es überhaupt?
Ich hocke mich wieder vor den Computer und gebe » Aids« und » Symptome« in die Suchmaschine ein.
Also, was haben wir da? Durchfall, Schwindelgefühl, Schlafstörungen, ständiges Schwitzen, geschwollene Lymphknoten… Hektisch beginne ich mich abzutasten: hinter den Ohren, unter den Achseln, in der Leiste. Nein, nichts, was sich wie Kügelchen oder Knötchen oder so was Ähnliches anfühlt. Aber so schnell treten die Symptome ja auch nicht auf. Wahrscheinlich war sie einfach bloß sauer, weil ich sie die ganze Woche lang hängengelassen habe. Will sie sich an mir rächen? Hat sie mich neulich im Pavillon doch mit Lena zusammen gesehen? Wohl kaum. Ich war ziemlich schnell verschwunden. Mit Katja? Ausgeschlossen! Als ich sie an der Metro abgeholt habe? Nein, nein, da war es viel zu dunkel. Außerdem könnte ich immer sagen, das seien Bekannte von Ljocha gewesen. Ljocha! Genau, Ljocha! Die zehn Riesen! Das neue Auto! Jetzt hab ich’s! Sie will mich um die Kohle prellen!
Schnell ziehe ich einen Pullover und die erstbeste Jeans, die mir in die Hände fällt, an, steige in meine alten Turnschuhe mit den ewig offenen Schnürsenkeln und flitze aus der Wohnung. Zehntausend Grüne, zum Teufel damit, ich verzeihe dir, Hauptsache, ich habe kein Aids! Lieber Gott, mach, dass diese Aidsgeschichte nur ein blödes Fake ist! Was kostet dich das schon? Ich schenke ihr die Zehntausend, ich verspreche es! Ich schwöre es! Wirklich, die ganzen Zehntausend! Bis auf die letzte Kopeke. (Fang jetzt bloß nicht an zu handeln, Mirkin! Hast du eben etwa gedacht: Sie könnte ja wenigstens fünf zurückgeben? Das kann ins Auge gehen! Mit Gott soll man nicht schachern!) Nein, ich schenke sie ihr, versprochen, Ehrenwort! Nur kein Aids! Meinetwegen Syphilis– einverstanden! Aber nicht Aids!
Mein Kater ist wie von Zauberhand verschwunden, die Kopfschmerzen auch. Nur heulen möchte ich. Aber jetzt hör doch mal! Es tut dir doch gar nichts weh, oder? Es ist alles in Ordnung, sogar der Kater hat sich verzogen…
Ich reiße den Arm hoch– Gott sei Dank, ein Taxi, ausnahmsweise im rechten Moment.
In der letzten Viertelstunde bin ich kurzfristig zur Krake mutiert. Mit drei bis vier Händen donnere ich einen Trommelhagel gegen Ritas Wohnungstür, mit der fünften Hand bearbeite ich mein Handy und versuche, sie anzurufen, die sechste klebt auf der Türklingel. Zuerst war hinter der Tür nur hysterisches Gekreische
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