Neonträume: Roman (German Edition)
kreischt nur noch. » Idiot! Du Arsch!« Sie verpasst mir einen Satz schallende Ohrfeigen und springt vom Sofa auf.
» Du wirst langsam und qualvoll sterben!«, quiekt sie. » Mit einer einfachen Erkältung fängt es an, dann werden nach und nach alle Organe befallen und versagen und du wirst elend zugrunde gehen! Und ich werde es genießen, o ja, die Zeit, die mir noch bleibt, werde ich dein Leid genießen! Ich werde dich jede Woche anrufen und fragen, ob du noch nicht verreckt bist! Das Einzige, was mich beruhigt, ist die Tatsache, dass es bei Drogenabhängigen und Säufern schneller geht. Ich denke, ich werde deine Beerdigung noch erleben!«
» Ich bin kein Drogenabhängiger und kein Säufer«, schnaube ich wütend.
» Du bist ein Volljunkie und ein Halbalki.« Wieder stürzt sie sich auf mich und traktiert mich mit Ohrfeigen. Ich drehe mich ungeschickt zu Seite, ihr Daumen sticht mir direkt in die Nase, sofort schießt das Blut heraus.
» Leg den Kopf in den Nacken, du Blödmann, das fehlt mir noch, dass du mit deinem verseuchten Blut meine Wohnung verpestest und meine Freunde und meine Eltern infizierst!«
» Ich kann es nicht stoppen«, blubbere ich und halte die Nase in die Luft.
» Verschwinde ins Bad, du Esel!« Rita versucht, mir in den Hintern zu treten, aber ich weiche aus, flüchte ins Bad und knalle die Tür hinter mir zu.
Ich lasse das kalte Wasser laufen, wasche mir das Blut ab, sehe fasziniert zu, wie es ins Waschbecken tropft, sich mit dem Wasser vermischt, ganz hell wird und rasch im Abfluss verschwindet.
» Ich laufe durch alle Klubs und erzähle deinen Bekannten, deinen Geschäftspartnern, deinen Tussis und Dealern und Kollegen und Barleuten, allen erzähle ich die Wahrheit über dich!«, tönt es auf der anderen Seite der Badezimmertür. » Sie sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben! Bitte Gott, dass du nicht noch eine infiziert hast! Du bist ein richtiges Schwein, Mirkin! Ich bin sicher, du wirst trotzdem alles ficken, was dir vor die Flinte kommt!«
Die Blutung ist gestillt, ich wasche mich, überlege, womit ich mich abtrocknen kann, beschließe, dass ich sicherheitshalber nicht das Handtuch benutzen sollte, und komme mit nassem Gesicht aus dem Bad. Rita sitzt in einem Sessel, die Arme um die Knie geschlungen, schaukelt hin und her und heult wie ein Schlosshund.
» Rita, wir haben doch noch eine Chance…«
» Fass mich nicht an!«, brüllt sie wieder los. » Fass mich bloß nicht an, du Widerling! Mit wem hast du geschlafen? Wer ist das Luder? Oder hast du im Vollrausch mit einem Typen gebumst? Oder haben dir deine Junkiefreunde eine infizierte Spritze untergeschoben? Immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen, ist das nicht so, Mirkin?«
» Und woher willst du wissen, dass du’s von mir hast?«, bricht es plötzlich aus mir heraus. » Vielleicht bin ich ja vollkommen gesund?«
» Was? Was hast du da gesagt, du Scheißkerl?«
» Vielleicht… Vielleicht ist es gar nicht von mir!«
» Verschwinde! Hau ab! Verpiss dich, du Arschloch! Jetzt willst du es nicht gewesen sein? Wer denn? Ich hab seit einem halben Jahr mit keinem anderen geschlafen außer mit dir!«
» Und davor…«
» Was bist du doch für ein mieser kleiner Scheißkerl!«, sagt sie leise. » Geh, bitte. Ich bitte dich, verschwinde. Sonst haue ich dir die Bratpfanne über den Schädel.«
Sie lässt den Kopf auf die Knie sinken und wird wieder von Schluchzern geschüttelt.
» Entschuldige, bitte, verzeih mir.« Ich gehe zu ihr und setze mich auf den Fußboden. » Ich weiß wirklich nicht, wie das passiert ist. Vielleicht hab ich es mir beim Zahnarzt geholt? Komm, lass mich erst mal einen Test machen. Sag mir, wo ich hingehen soll. Bitte, lass es uns versuchen. Wenn… wenn ich auch positiv bin, dann werden wir zusammenleben… Ich… Ich liebe dich… Ich habe mal gelesen, dass man mit Aids sogar Kinder haben kann…«
Ich fange an zu heulen. Die Suppe läuft mir aus allen Öffnungen, obwohl ich eigentlich nur jaulen möchte wie ein Schlosshund vor lauter Hoffnungslosigkeit. Heulen wie ein Tier, mich aus dem Fenster lehnen und um Hilfe schreien: Hilfe, ich sterbe! Ich bin am Ende! Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!
Rita antwortet nicht. Sie hebt nicht einmal den Kopf.
Fast gleichzeitig hören wir auf zu weinen. Eine klirrende Stille breitet sich im Zimmer aus. So bleibt es lange, zehn oder zwanzig Minuten. Ich denke an gar nichts, seh nur vor mich hin. Rita geht es anscheinend genauso. Zum ersten Mal
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