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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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ich den Wattebausch in einem Mülleimer und spreize erleichtert die Finger.
    » Und was ist das für ein Zettel?«
    » Das ist die Nummer des Tests. Die musst du angeben, wenn du übermorgen nach dem Ergebnis fragst.«
    » Erst übermorgen? So lange dauert das?«
    » Was spielt das für eine Rolle?«
    Tatsächlich. Das spielt jetzt keine Rolle mehr.
    » Also, ich fahre nach Hause.« Rita wirft die Zigarette weg und dreht sich um. » Tschüss.«
    » He, und ich?«
    » Du? Keine Ahnung. Mach, was du willst. Geh in ein Restaurant. Oder zur Arbeit. Oder ruf die Tussi an, bei der du dir das Virus eingefangen hast«, antwortet sie roh.
    » Was denn für eine Tussi?«, blaffe ich. » Was soll das, Rita?«
    » Woher soll ich das wissen?«, blafft sie zurück, schon im Gehen. » Wiedersehen!«
    » Soll ich übermorgen hier anrufen, oder was?«, rufe ich ihr hinterher. Eine blödere Frage hätte ich wohl nicht stellen können.
    » Kannst du machen«, antwortet sie. » Du kannst auch herkommen, oder online anfragen. Wie du willst!«
    Meine nächste Frage wird von den Signaltönen des funkgesteuerten Türöffners abgeschnitten. Zwei Sekunden später fährt sie mit quietschenden Reifen vom Platz.
    Und was ist mit dir?, wollte ich noch fragen. Aber das hört sie ja nicht mehr. Ich rauche zu Ende, glotze blicklos in die Gegend. Dann fällt mir abrupt ein, wo ich mich befinde, und mache, dass ich wegkomme.
    Eine Dreiviertelstunde lang stecke ich in allen nur denkbaren Staus, weil der dusselige Taxifahrer, anstatt auf den Weg zu achten, nur stumpfsinnig auf sein Navi starrt. Der Blick in die Zukunft! Man muss seine Stadt nicht mehr kennen, sondern nur noch seine Software bedienen können. Und wie es sich für einen zünftigen Spießer gehört, läuft die ganze Zeit im Autoradio Humor FM . Aber der Typ lacht kein einziges Mal. Ich versuche, aus ihm herauszukriegen, wieso er diesen bescheuerten Kanal hört, wenn er den Humor nicht komisch findet. Oder folgt er der Regel: Echte Männer lachen nicht? Nein, sagt er, er höre gar nicht zu, er brauche das Radio bloß als Geräuschkulisse. Na schön, aber warum lässt er dann nicht Minimal-Techno laufen, oder meinetwegen Placido Domingo? Aber ich traue mich nicht mehr zu fragen.
    Wenn ich ehrlich bin, gibt es für mich gar keinen Grund, irgendwohin zu fahren. Als wir den Tunnel unter dem Neuen Arbat durchquert haben, zahle ich und steige an der Metrostation Smolenskaja aus, laufe über die Straße und gehe in den Supermarkt, der sich dort befindet, um mir eine konzentrierte Shoppingtherapie zu gönnen. Ich glaube übrigens, der tiefere Sinn einer solchen Therapie besteht nicht im Shopping selber, sondern darin, sich in der Menge der Shoppenden aufzuhalten. Inmitten der Masse all der Großstadtneurotiker versuchen wir unserer Einsamkeit zu entkommen. Der Ausverkauf ist unser universeller Arzt. Welche Mittel sonst kennt unsere Generation gegen die Sehnsucht, die Melancholie? Drogen, Kabelfernsehen, Shopping-Malls. Ziellos streife ich durch das Geschäft, nehme dort eine Flasche Wein, hier eine Packung Mini-Croissants oder ein Tetrapack Saft, drehe alles unschlüssig in den Händen, stelle es zurück ins Regal. Als ich bei den sauren Gurken angekommen bin, klingelt mein Telefon.
    » Hallo!« Lenas Stimme, verstörend fröhlich. » Wie geht’s?«
    » Okay«, antworte ich trübe.
    » Ist etwas passiert?«
    » Alles in Ordnung. Viel zu tun.«
    » Kannst du reden?«
    » Klar, kein Problem.«
    » Es gibt Neuigkeiten!«
    » Was für Neuigkeiten?«
    » Wenn du mich ganz fest bittest, sag ich’s dir!«, kokettiert sie.
    » Ich bitte dich ganz, ganz fest«, sage ich ausdruckslos.
    » Andrej, was soll das denn? So geht das nicht!«, quengelt Lena.
    » Häschen, Liebling, jetzt erzähl mir schon deine Neuigkeit!«
    » Ich bin schwanger!«, flüstert sie.
    » Was bist du?«
    » Ja, jetzt ist es ganz sicher! Kein Zweifel möglich! Weißt du, ich…«
    Aber ich höre schon nichts mehr. In meinen Ohren rauscht es, mein Kopf steckt plötzlich wie in einem dicken Nebel, mir ist, als würde der ganze Supermarkt Purzelbäume schlagen. Schwanger, schwanger, schwanger, pocht es in meinen Ohren.
    » Und den dritten Test hab ich nach dem Mittagessen gemacht«, plappert Lena ungerührt weiter. » Herzlichen Glückwunsch, Papa!«
    » Dir auch, Mama…«, sage ich mit belegter Stimme.
    » Übermorgen mache ich noch einen Test, zur Sicherheit, und dann sagen wir es zuerst meinen und dann deinen Eltern«, verkündet

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