Neonträume: Roman (German Edition)
Lena feierlich.
» Ich traue meinen Ohren nicht!«, sage ich und versuche, die Tränen zurückzuhalten. » Das müssen wir feiern!«
» Gehen wir heute zusammen essen? Oder wollen wir gemütlich zu Hause bleiben?«
» Einverstanden.«
» Womit bist du einverstanden? Ausgehen oder zu Hause? Andrej, du wirkst irgendwie so bedrückt!«
» Ich muss diese frohe Botschaft erstmal verdauen. Schließlich ist es… Es ist ja das erste Mal im Leben, verstehst du?«
» Natürlich verstehe ich das, Liebling.«
» Ich rufe dich exakt in einer Stunde wieder an, ja?«
» Ich liebe dich.«
» Ich liebe dich sehr.«
Krampfhaft versuche ich, mein Telefon auszuschalten, bis ich merke, dass ich an einem Glas mit sauren Gurken herumdrücke, das ich in der anderen Hand halte. Mit zitternden Händen stelle ich das Glas zurück ins Regal, atme ein paarmal kräftig durch, um die plötzliche Schwäche in meinen Beinen zu kontrollieren, und taumel wie ein Zombie zum Ausgang.
Als ich wieder auf der Straße bin, ruft Ljocha an, der schon wieder in der Galerie sitzt und zwischen einem fürchterlichem Kater und hartnäckiger Geilheit hin und her schwankt, wie er mir erklärt. Dann kommt eine SMS von Anton, in der er vorschlägt sich zu treffen, um unseren Auftritt zu besprechen, dann ruft Vera an (ich drücke sie sofort weg), dann… dann lasse ich das Telefon einfach in der Tasche.
Bis zur Galerie gehe ich zu Fuß. Wie lange ich brauche, weiß ich nicht, aber es ist lange. Ich denke an nichts, rauche ununterbrochen, starre blind vor mich hin. Ein verlorener Mensch, Zigarettenkippenmensch, zerdrückt im Aschenbecher namens Großstadt.
Ljocha sitzt allein an einem Tisch ganz hinten in der Galerie und starrt Löcher in die Luft.
» Hallo, Ljocha.«
» Gnmh«, macht er, als wäre ich nicht grade eben angekommen, sondern nur kurz auf dem Klo gewesen.
» Was ist? Hast du einen dicken Kopf?«
» Gnmh.«
» Bestell dir eine Suppe.«
» Gnmh.«
» Ich hab deine zehn Riesen dabei«, verkünde ich in der Hoffnung, ihn endlich aus der Reserve zu locken. Immerhin macht er jetzt den Mund auf.
» Danke. Das ging fix«, antwortet er gleichgültig.
» Es passte grad.«
» Soll vorkommen.«
» Du bist heute ja sehr gesprächig«, feixe ich und sehe mich erst einmal um. An der Bar sitzt Illias Mercuri. Ich winke ihm lässig zu, er nickt und kommt zu uns herüber.
» Hi, Brothers!«, tönt er fröhlich. Illias ist immer gut drauf. Ihn kann nichts erschüttern. Wahrscheinlich vögelt er ausschließlich mit Gummi.
» Hi«, nicken wir trübe.
» Was ist denn mit euch los?«
» Wir baggern gerade Frauen an«, erklärt Ljocha aufrichtig.
» Und? Lassen sie baggern?« Illias hat einen kaum merklichen, aber recht ulkigen griechischen Akzent. » Und wieso sitzt ihr dann hier rum? Hier ist doch tote Hose!«
» Ach ja? Und wo soll man dann rumsitzen, deiner Meinung nach?«, fragt Ljocha etwas lebhafter. » Im Storch? Da sitzen doch nur minderjährige Ballettratten. Und für’s GQ ist es noch zu früh.«
» Eure Sorgen möchte ich haben.« Illias verschwindet und kommt sofort mit einem Notebook wieder. » Also Jungs, alles ganz einfach, ich zeige es euch. Hier: Odnoklassniki.ru!«
» Kenn ich«, verkündet Ljocha munter. » Über die Site hab ich schon jede Menge alte Mitschüler gefunden.«
» Was willst du denn mit alten Mitschülern?« Illias lacht sich halb schlapp. » Es geht um Frauen! Das ist die perfekte Aufreißerseite! Ich habe in meinem Profil dreißig Bräute als › Freunde‹, und alle erste Sahne! Da komm ich zum Schuss, wann immer ich will!«
» Wie zum Schuss?«, frage ich verdattert.
» Na wie schon!« Er schiebt den Daumen zwischen die Finger und zwinkert uns bedeutsam zu.
Das dachte ich mir doch. Der ganze Sinn des russischen Internets besteht in nichts anderem. Egal, welchem Thema eine Site gewidmet ist: Literatur, Film, Autos– am Ende geht es immer nur ums Ficken. Oder ums Saufen.
» Und wie läuft das ab?«, fragt Ljocha zapplig. » Ich kommuniziere dort wirklich nur mit ehemaligen Mitschülern.«
» Echt? Mach keine Witze!« Illias fuchtelt mit den Händen. » Also pass auf, es ist ganz einfach. Du nimmst grundsätzlich nur richtig gute Bräute als › Freunde‹ an, und dann bewertest du ihre Fotos mit fünf Sternen.«
» Was für Sternen?« Ljocha macht runde Augen.
» Bewertungssterne. Das heißt, eigentlich nicht Sterne, sondern Noten. Wie in der Schule. Und dann schreibst du ihnen. Ich sage, zum Beispiel,
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