Neonträume: Roman (German Edition)
eine so jämmerliche Miene, dass mir fast selber die Tränen kommen. » Ich wollte Sie wirklich nicht kränken, ich wollte Ihnen einfach nur etwas Nettes tun. Ungeschickterweise hab ich mich ganz dumm angestellt. Ich habe mir nichts Schlimmes dabei gedacht, glauben Sie mir! Es ist überhaupt nicht so, wie Sie denken. Eine Frau wie Sie… Aber setzen Sie sich doch erst einmal, dann können wir das alles in Ruhe klären…«
Ihr Blick ist schon weicher geworden. » Sie können sich ja vielleicht vorstellen, wie ich mich fühlen musste, oder?« Zorn gegen Milde tauschend, ruft sie die Kellnerin: » Fräulein, holen Sie mir, bitte, meine Handtasche von dem Tisch dort drüben.«
Die Kellnerin führt den Auftrag aus und bringt eine himbeerfarbene Tasche von Tod’s. Die junge Frau wirft die Tasche auf einen freien Stuhl und lässt sich selber zwischen Ljocha und mir nieder. Ich sehe Ljocha an und lese in seinen Augen, was für einen Text wir jetzt zu erwarten haben. Innerhalb der nächsten fünf Minuten werden wir erfahren, dass die junge Dame in Wirklichkeit nämlich nicht » so eine« ist, dass sie gerade vor einem Monat erst nach Moskau gekommen ist, und zwar aus, na, sagen wir mal, Deutschland, wo sie irgendwas studiert hat, was kein Mensch kennt oder was man nicht aussprechen kann. Wenn dann die erste Flasche Champagner leer ist, werden wir wissen, dass ihr Sternzeichen Löwe ist, falls Löwe das derzeit aktuelle Sternzeichen ist, weil sie nämlich demnächst Geburtstag hat. Und sie kann es gar nicht leiden, wenn man ihr Brillanten schenkt oder ein banales rosafarbenes Vertu-Handy oder einen Palquale-Bruni-Ring oder… Was gibt es sonst noch für Wunschträume in ihrem kleinen Köpfchen? Ein schönes Zuhause, eine Familie, ein…
Die junge Dame bestellt tatsächlich einen Ruinart Rosé für 150 Euro die Flasche, raucht lange, dünne Mentholzigaretten und legt los mit ihrer » Ach, mein Gott«-Story. Wir erfahren, dass sie erst vor einer Woche in Moskau angekommen ist (wie rührend), dass sie in Estland gelebt hat, allerdings in Weißrussland geboren ist oder in der Ukraine oder… egal, irgendwo da. Sie hat Design studiert– oder Architektur? Ich habe gerade nicht aufgepasst, als sie es erzählte. Sie steht auf Theater und Arthouse-Filme, und in solche Restaurants wie dieses hier geht sie natürlich nur ganz selten. Mir wird schnell klar, dass Ljocha heute wirklich Schwein gehabt hat, diese Nummer wird ihn außer der aktuellen Rechnung praktisch nichts kosten. Das Mädchen ist jung, unerfahren, sie hat eine gute Figur, aber wenig Hirn. Und sie hat sich so rettungslos in ihre Rolle als anständige Frau verstiegen, dass sie aus Ljocha nicht eine Kopeke rausziehen wird. Dabei wäre so ein halber Riese für den Anfang locker drin gewesen.
» Kommt, Kinder, fahren wir ein bisschen durch die Stadt«, lädt Ljocha ein.
» Oj, ich weiß nicht, ob das geht!«, ziert sich die Kleine.
» Wir könnten auf die Sperlingsberge fahren, da hat man so eine herrliche Aussicht«, flötet Ljocha weiter. » In fünf Minuten sind wir da, ich hab ein schnelles Auto.«
» Bist du heute mit dem Porsche unterwegs?«, spiele ich ihm den Ball zu.
» Hm-hm.«
» Ihr könnt mich unterwegs abladen«, sage ich, weil ich weiß, was sich gehört. » Ich will noch ins Just Another Bar.«
» Kein Problem, machen wir…«
» Lana«, stellt sie sich endlich vor. » Machen wir, klar…«
Zehn Minuten später rast Ljochas Porsche Cayman über die Petrowka-Straße, schlängelt sich, seine schwächeren Artgenossen frech zur Seite drängend, durch die Staus. Lana hat sich auf dem Beifahrersitz in Positur gebracht, ich hocke, zu einem fachgerechten Seemannsknoten verschlungen, auf dem Rücksitz– dem Platz für Hunde und Loser. Ekelhaft, das Ganze.
Als ich in der Bar sitze, verspüre ich einen leichten Schüttelfrost; entweder ist die Klimaanlage zu kalt eingestellt oder ich habe mich erkältet. Seit Stunden drehen sich meine Gedanken wild im Kreis. Ich denke, zum Beispiel, » Erkältung« und sofort folgt » Immundefekt«– » Fortschreiten der Infektion«– » Kaposi-Sarkom«. Und dann geht es wieder von vorne los, und wieder von vorne… Ich habe Appetit auf etwas Süßes und bestelle mir einen doppelten Bacardi mit Cola.
Endlich erscheint Anton. Im Schlepptau hat er eine Miniaturblondine in einem bauchfreien blauen T-Shirt, knielangen Jeans und blauen Stiefeln. Bisschen wie die gute Fee aus einem Disney-Trickfilm. Sie schaut aus strahlend
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