Neonträume: Roman (German Edition)
staunen Sie! Aber so ist das, wer begabt ist, hat viele Talente. Ich beschränke mein Wirken keineswegs auf den Journalismus, die Literatur, das Gastronomiewesen und alle möglichen Arten der Kritik, ich habe darüber hinaus längst begonnen, mich aktiv der Musik zu widmen. Texte schreibe ich schon seit langem. Es war klar, dass es irgendwann aus mir herausbrechen musste, und vor einem halben Jahr war es dann so weit. Zusammen mit zwei Kumpels wollen wir demnächst unser erstes Album rausbringen. Russischer Gangsta-Rap. Ich bin für die Texte zuständig, Anton für die Arrangements, und Wanja, der dritte im Bunde, macht die zweite Stimme. Das Projekt wird den Namen Moskauer Schnee tragen und ohne jeden Zweifel den Leuten das Hirn aus der Schale pusten, eben genau wie guter kolumbianischer Koks. Konzeption, Image, Band-Philosophie, der Name und die ganze Öffentlichkeitsarbeit, das ist natürlich alles meine Sache.
Gena ist zwar schwul, aber gleichwohl ein bekannter Moskauer Musikkommentator. Ob er mich sympathisch findet? Tja, hmm… wahrscheinlich. Aber das ist ganz normal, ich bin eben ein netter und kommunikativer Typ. Manchmal gehen wir zusammen zu irgendwelchen Rap-Konzerten, und seit kurzem schreibe ich sogar für seine Seite.
» Schätzchen«, plärrt er los, » wo ist dein Beitrag?«
» Gena«, sage ich leise, aber sehr bestimmt. » Ich habe dich ausdrücklich gebeten, mich in der Öffentlichkeit nicht Schätzchen zu nennen. Ich habe nichts gegen deine sexuelle Orientierung, aber mit deinem ständigen › Schätzchen‹ kompromittierst du mich. Ich habe immerhin einen Ruf als… äh, als Womenizer zu verlieren. Du schadest mir mit deinen albernen Diminutiven!«
» Ach komm, Andrej, vergiss es. Wir leben in Zeiten des Unisex. Außerdem treibst du dich auf deinen Touren mit Typen rum, verglichen mit denen bin ich ein Hetero reinsten Wassers. Also was ist jetzt mit deinem Beitrag?«
» Kommt, kommt! In spätestens einer Stunde hast du ihn. Und was das Rumtreiben angeht, das stimmt schon… Aber trotzdem, ich meine… Halt einfach den Joystick ein bisschen ruhiger, verstehst du, was ich meine?«
» Wen soll ich ruhig halten?«, kräht Gena fröhlich.
Ich verziehe mich schleunigst in mein Büro.
Ja, Gena hat recht. Ich war dieses Jahr ziemlich umtriebig. Zuletzt noch die Shootings für das Magazin OM light, wo ich eine Art Zuhälter gespielt habe, und die Filmaufnahmen für MTW ( Neue Gesichter ). Ein Journalist der Zeitung MK heftete mir das Etikett » Vielversprechendster Newcomer aus der Generation U30« an. (Nebenbei gesagt, das war in einem Artikel über Moskauer Bordells, Drogenumschlagplätze und sonstige Lasterhöhlen, aber ist ja egal.) Dann gab es noch einen Artikel in der Zeitschrift Leben mit der Überschrift: » Das gebrochene Herz der Janna Friske«. (Darin sieht man mich irgendwo im Hintergrund, wie ich gerade in einen Jeep einsteige, sodass man zwangsläufig den Eindruck bekommt, die hinreißende Janna Friske heule meinetwegen.)
» Hallo?« Schon wieder das Telefon.
» Andrej, reibst du’s dir jetzt rein?«
» Hä?«
» Warum hat dein Zahnfleisch angefangen zu bluten?« Das ist Rita. » Reibst du dir Drogen ins Zahnfleisch? Willst du ein Junkie werden?«
» Was reibe ich? Spinnst du jetzt?« Allmählich geht die mir echt auf den Sender. Aber wenn sie mit ihren hirntoten Freundinnen in die Disco geht, futtert sie selber Ecstasy-Pillen wie Sechsjährige ihre Smarties. Und mich nennt sie Junkie! » Ich hab mich mit Zahnseide geschnitten, du Idiotin!«
» Oh, und ich dachte schon…«
» Du dachtest wahrscheinlich, ich wollte dir nichts abgeben, oder wie? War’s das? Und überhaupt, ich bin hier am Verbluten, und du bequemst dich eine volle Stunde später, mich zurückzurufen!«
» Andrej, sprich nicht in diesem Ton mit mir!«
» Ich rede überhaupt nicht mit dir, ich habe jetzt einen Termin, tschüss!«
» Andrej, leg nicht auf, ich mache mir schreckliche Sorgen um dich.«
» Quatsch, alles in Ordnung, reg dich nicht auf.«
» Rufst du mich an, sobald du frei bist?«
» Auf jeden Fall. Küsschen!«
» Und vergiss nicht: heute Abend in der › Veranda‹!«
» Nein.«
» Ich liebe dich.«
» Ich bete dich an. Total.«
» Tschüss.«
» Tschüss.«
Nach diesem Telefonat tut mir wieder das Zahnfleisch weh. Verdammt! Love hurts, oder wie heißt das?
Egal, jedenfalls jetzt, im Alter von siebenundzwanzig Jahren, erhalte ich die Nachricht, dass ich möglicherweise, das heißt,
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