Neonträume: Roman (German Edition)
roch förmlich den entscheidenden Durchbruch, die Wende in meiner Karriere. Meine Kolumne war gerade ein Jahr gelaufen, da meldete sich NTW bei mir! Die Sendung Helden unserer Zeit brachte einen Bericht über mich (Dauer sieben Minuten, achtzehn Sekunden; eine Aufzeichnung der Sendung befindet sich in meinem Besitz)! Und am nächsten Tag bot mir das Magazin Der Beobachter eine Stelle als verantwortlicher Redakteur für die Sparte Lifestyle an. Hoppla! Eben war ich noch eine namenlose Klub-Assel gewesen, und jetzt auf einmal Obermacker für die Szene bei einer der renommiertesten Zeitschriften der Stadt! Und das mit meinen zarten vierundzwanzig Lenzen. Meine persönliche Bezeichnung für diesen Job ist übrigens » Glamour-Manager«. Das soll natürlich ein Witz sein, versteht sich, aber ich hab es mir trotzdem auf meine Visitenkarten drucken lassen. Finde ich irgendwie cool.
So, dann wollen wir uns mal allmählich in die Redaktion verfügen.
Aber erst nochmal ins Bad, kämmen und Zähne putzen (natürlich mit Lacalut). Und die Zahnseide nicht vergessen! Autsch, mit der Zahnseide hab ich’s wohl ein wenig übertrieben, mir tut plötzlich das Zahnfleisch weh. Verdammt, wenn ich mich jetzt ernstlich verletzt hab? Das fehlte mir noch, dass ich mir selber eine Parodontose verpasst habe oder Zahnfleischkaries oder wie heißt diese verdammte Scheiße? Keine Ahnung, aber ich bin schließlich kein Zahnarzt. Ich rase zurück ins Zimmer, schnappe mir die Tasche mit den Vinylplatten. Blutsturz sind bei der letzten Strophe:
Mein Mund ist voll Blut,
das war’s,
Ende der Fahnenstange.
Wie passend. Ich schalte die Anlage aus. Nein, ohne Scheiß, das tut weh! Außerdem hab ich so einen komischen Geschmack im Mund. Ich rase wieder ins Bad, spucke ins Waschbecken. Verdammter Mist! Mein Mund ist tatsächlich voller Blut! Gesundheitliche Probleme, vor allem wenn man sie sehen kann, versetzen mich augenblicklich in Panik. Am liebsten würde ich sofort den Notarzt rufen, wer weiß, was so ein verletztes Zahnfleisch alles auslösen kann! Fliegende Bakterien! Choleraerreger! Tröpfcheninfektion! Mühsam um Fassung ringend, fummle ich mein Handy aus der Tasche und rufe Rita an.
» Hallo, grüß dich, mein Häschen! Hör mal, ich hab hier ein echtes Problem!«
» Du, ich bin grad auf dem Laufband, ich muss noch zwanzig Minuten, ruf doch später nochmal an!«
» He, halt, warte, jetzt vergiss kurz mal dein Scheißlaufband, das hier ist wirklich wichtiger, ich hab grad den totalen Horror!«
» Verstehe, du hast vergessen, mir die Rabattkarte fürs Podium zu besorgen. Sie haben dir keine gegeben, stimmt’s?«
» Nein, schlimmer! Ich hab mir das Zahnfleisch verletzt! Was soll ich denn jetzt machen?«
» Das Zahnfleisch? Tja, am besten gehst du zum Arzt. Kann was Ernstes sein.«
» Zum Arzt… hmm, ja… vielen Dank.«
» Sag mal, Andrej, gehen wir heute zu der Fashion-Show in die Veranda im Sommerhaus?«
» Weiß ich noch nicht. Wenn ich dann noch lebe.«
» Okay. Halt mich auf dem Laufenden mit deinem Zahnfleisch. Ich ruf dich später nochmal an.«
Das hätte ich mir ja gleich denken können. Diese Stroboskop-Hippodrom-Tussis sind bei ernsten medizinischen Problemen keine große Hilfe. Ich wähle Lenas Nummer, drücke aber gleich wieder auf Auflegen. Lieber nicht. Lena ist zu pedantisch, die will sofort alles ganz genau wissen, sämtliche Symptome und so weiter. Das muss ich mir jetzt nicht antun. Mist, jetzt ruft sie schon zurück.
» Andrej, hast du mich gerade angerufen? Ich konnte nicht so schnell drangehen.«
» Ah… yeah! Stimmt, ich hab dich angerufen.« (Was für eine blöde Manier, jedes Mal nachzufragen, wenn man doch die Nummer auf dem Display sieht.)
» Hast du deine Besprechung abgesagt?«
» Meine Besprechung? (Scheiße, was für eine Besprechung, wovon redet die überhaupt? Ach so, ja!) Äh, nein, Honey, mein Sonnenschein, die hab ich nicht abgesagt. Es ist nur… Also ich habe… you know…«
» Was denn? Ist etwas passiert?« Ihre Stimme klingt sehr besorgt. Ein bisschen übertrieben besorgt sogar, finde ich. » Bist du in Ordnung?«
» Ich habe… Wie heißt das noch? Ach ja, Zahnfleisch! Ich habe mir das Zahnfleisch verletzt.«
» Das Zahnfleisch verletzt? Womit denn?«
» Geschnitten, you know… Ich hab mir ins Zahnfleisch geschnitten, mit dem, mit der …(Verdammt, womit kann man sich am Arbeitsplatz schneiden?) Mit einem Blatt, äh, einem Blatt Papier… Weißt du, ich laufe so durch den Flur,
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