Neonträume: Roman (German Edition)
mit größter, allergrößter Wahrscheinlichkeit von GQ auf Platz 69 der » Most Stylish People« von Moskau gesetzt werde!
» Bingo!«, werden Sie sagen.
» Und das ist noch nicht alles!«, entgegne ich! Dreimal drauf gespuckt– diesmal in die Serviette. Gott sei Dank kein Blut!
Wenn man nämlich das Durchschnittsalter aller in Frage kommenden Kandidaten mit dem Durchschnittswert des Vermögens ihrer Eltern/Sponsoren kombiniert, kommt man zu dem Ergebnis, dass meine Chancen, megaberühmt und megareich zu werden, gar nicht übel stehen. Besser jedenfalls als die Chancen der russischen Fußballnationalmannschaft, bei der nächsten Weltmeisterschaft den Titel zu holen. Außerdem, was sind das schon für Leute? Nichts als Nummern, 99 Nummern. Wozu leben sie? Ich weiß es nicht. Sie sind so unbedeutend, dass ich darüber nicht einmal nachdenken will.
Die Tür zu meinem Büro geht auf. Echt, unsereiner kann auch nicht mal zehn Minuten allein sein, höchstens auf einem Foto in einem Hochglanzmagazin. Und selbst da eigentlich nicht, wenn man bedenkt, wie viele Hände dieses Foto berühren, wie viele Augen es betrachten. Ich drehe mich in meinem Bürosessel zum Fenster, damit ich meinem Gesprächspartner den Rücken zuwende. Bestimmt ist es eine von den Tippsen mit einer der üblichen dummen Fragen. Da sie sowieso nie kapieren, was man ihnen sagt, ist meine Kehrseite genau der richtige Ansprechpartner für sie.
Also, die Tür geht auf, ich sitze mit dem Rücken zu ihr und sage ganz langsam, eine Zigarette zwischen den Lippen:
» Ich bin heute einfach nicht in der Verfassung, mir euren kindischen Blödsinn anzuhören.«
» Ich auch nicht. Mirkin, die neue Nummer ist im Umbruch. Wo ist dein Beitrag, du Schlaumeier?«
In der Tür steht der Chefredakteur.
» In mein Büro, und zwar dalli!«
Die Tür knallt zu.
Ich stehe auf, glätte mein Haar, greife einen Aktendeckel mit irgendwelchen Papieren vom Tisch (meine Songtexte, Kontoauszüge, Ausdrucke aus dem Internet) und latsche mit dem ganzen Krempel über den Korridor. Vor der Tür des Chefredakteurs bleibe ich stehen, klopfe ganz vorsichtig an, setze ein gleichzeitig herzergreifendes wie verantwortungsbewusstes Gesicht auf (denke ich) und reiße mit Elan die Tür auf.
» Guten Tag, Alexej, wie geht es Ihnen?«, schieße ich sofort los, damit er gar nicht erst Gelegenheit findet, mich anzupflaumen. » Verstehen Sie, bei einem Teil des Materials sind gewisse Schwierigkeiten aufgetreten, auf die ich bedauerlicherweise keinerlei Einfluss hatte. Ein Fall von… wie nennt man das gleich? Von Dings, ich meine, wenn ein Vertrag nicht erfüllt werden kann, ein klarer Fall von…«
» Höherer Gewalt?«, seufzt Wsjeslawski. Er dreht einen Bauarbeiterhelm in den Händen, auf dem das Wort » Aktivist« leuchtet. Wie man munkelt, ein Geschenk vom Vizepremier.
» Genau, super. Ich meine, richtig. Höhere Gewalt. Infolge dessen sehe ich mich bedauerlicherweise nicht in der Lage, die betreffenden gewissen, äh, Materialien… also aufgrund von Umständen, die nicht in meiner Gewalt… äh… Ich meine, wir Menschen hängen ja doch alle ab von den Mächten der Vorsehung… oder, in diesem Fall, eher vom Walten des Zufalls, der…«
» Heißt konkret? Das Interview?« Er trommelt gereizt mit den Fingerspitzen auf dem Helm herum.
» Eine Abschrift des Interviews befindet sich in diesem Moment zur Unterschrift bei Bucharow. Er wollte es mir spätestens heute geschickt haben, ich verstehe auch nicht, warum…«
» Das Restaurant-Rating?«
» Oxana Alexandrowna, also unsere Buchhalterin…«
» Ich weiß, wer Oxana Alexandrowna ist. Und? Hat sie sämtlichen Restaurants der Stadt eine Steuerprüfung auf den Hals gehetzt und allesamt schließen lassen?«
» Nicht ganz… Aber fast, also, so was Ähnliches. Sie hat mir den Spesenvorschuss für die neue Runde zu spät ausgezahlt, und deshalb musste ich für das Rating auf die Berichte von Freunden zurückgreifen, die diese Restaurants besuchen, die ich… in denen ich…«
» Fehlt also. Die Lifestyle-News?«
» Oh, alles prima! Die sind praktisch fertig bis auf…«
» Bis auf die Fotos?«
» Alexej, wenn Sie noch ein klein wenig Geduld…«
» O nein, meine Geduld ist längst zu Ende. Nur meine gute Kinderstube hat mich bisher davon abgehalten, dich einen lausigen Kretin zu nennen und zum Teufel zu jagen. Aber damit ist jetzt Schluss.«
» Sorry? Sie wollen damit sagen, ich…«
» Ich will damit sagen, Mirkin, dass ich viel
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