Neonträume: Roman (German Edition)
Anbetracht der Tatsache, dass das Interview noch nicht einmal geplant ist und ich nicht sicher sein kann, dass es überhaupt stattfindet, und der weiteren Tatsache, dass ich für das Restaurant-Rating, Kaffeepause eingerechnet, höchstens zehn Minuten brauche, empfiehlt es sich wohl, zunächst einmal mit den Lifestyle-News loszulegen. Das kann ich gleich hier vor Ort erledigen, dann bastele ich nebenbei noch meine Kolumne für den Weg zusammen, und anschließend werde ich wohl mal Igor Bucharow auf die Pelle rücken, dem Betreiber des Restaurants Nostalgie. Unterwegs kann ich noch ein bisschen shoppen und auf einen Sprung ins Solarium. Nicht schlecht, was? Das Allerwichtigste ist eben doch, siehe oben, die richtige Zeitplanung! Jetzt bleibt nur noch ein Problem: die Texte für die Fotos. Ach, dabei fällt mir ein: Es gibt da ja noch die kleine finanzielle Meinungsverschiedenheit mit Marina, der Fotografin.
Ich organisiere mir einen Kaffee und wähle Marinas Nummer.
Das mit der Kohle ist ziemlich lästig. Was tische ich ihr jetzt bloß für eine Geschichte auf? Verloren? Geklaut? Logisch, sehr glaubwürdig. Zu Hause liegen lassen? Das lässt die kalt. Ich sehe sie förmlich vor mir, in ihrem ewigen knallengen Lederrock und der zerrissenen Jeansjacke, in der einen Hand eine Kippe, in der anderen ihr Handy, die Haare in den brasilianischen Nationalfarben, den Blick in weite Fernen gerichtet und die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. So steht sie da und zischt: » Das ist dein Problem, Mann!« Echt, mehr kann man von der nicht erwarten.
» Ja?«, knarzt Marinas heisere Stimme in meinem Ohr.
» Na, wie geht’s, Star der europäischen Fotografie?« Ich versuche, möglichst galant rüberzukommen.
» Scheiße«, kommt es noch heiserer zurück. » Wann kommst du vorbei?«
» Wieso?«
» Wegen der Fotos!«
» Ach so, verdammt, Moment, äh, sag mal, kannst du mir die nicht irgendwie rüberbeamen? Per Mail oder so?«
» Vergiss es. Mein Internet funktioniert nicht. Ich hab die Rechnung nicht bezahlt.«
» Marina, du sprichst mein Todesurteil!« Jetzt bin ich es, der krächzt. » Wieso bist du von morgens bis abends mit deiner Knipse auf Achse, wenn dir das nicht mal die Kohle fürs Internet einbringt?«
» Jetzt hör mal zu, mein Kleiner. Ich bin Freelancer, wie dir bekannt sein dürfte. Mir schiebt man nicht jeden Monat reichlich Kohle in den Hintern fürs Nichtstun wie dir. Ich habe die Fotos gemacht, die du bei mir geordert hast, und du wolltest vorgestern vorbeikommen und die CD mit den Aufnahmen abholen. Mit dem Geld. Aber während unsereine mit der Kamera auf Achse ist, wie du so schön sagst, treibst du dich sonst wo rum und lässt mich hier versauern, oder wie verstehe ich das? Was ist mit dem Geld? Wann kriege ich das?«
» Hör mal, du kannst mich jetzt nicht im Stich lassen. Ich muss die Dinger bis morgen Abend fertig haben, verstehst du? Und dein Geld kriegst du natürlich, morgen, oder sagen wir, übermorgen auf jeden Fall…«
» Das heißt, du hast mal wieder die ganze Asche auf den Kopf gehauen.«
» Nein, absolut nicht. Ich hatte da nur ein paar lästige Problemchen an der Backe, und äh…«
» Du hast jedes Mal irgendwelche lästigen Problemchen an der Backe, wenn es um Geld geht, das dir nicht gehört. Haben sie dir wieder dein Portemonnaie geklaut, wie letztes Mal?« Marina lässt ein gurgelndes Lachen hören. Es klingt wie ein brodelnder Teerkocher.
» Das ist nicht witzig.« Marinas Taktlosigkeit fängt an, mir auf den Zeiger zu gehen. » Der Geldautomat hat nicht funktioniert, verstehst du. Der wollte partout nichts ausspucken.«
» Wozu brauchst du einen Geldautomaten, du hast das Geld für die Fotos doch cash von deiner Zeitung gekriegt. Und zwar im Voraus.«
» Ja klar, äh, das kriege ich cash. Aber trotzdem, ich brauchte die Mäuse gerade sehr dringend für etwas anderes, und deshalb musste ich dann zum Automaten, und ich war sowieso total im Stress, wegen einer anderen Sache, und dann spuckt diese Scheißkiste nichts aus, und also, jedenfalls… es ist gerade alles echt kompliziert, verstehst du?«
» Andrej, wann lernst du endlich, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen? Ich glaube, man sollte dir deinen Lohn am besten gleich in Alk, Kippen, Klamotten und Drogen auszahlen. Dazu noch Verzehrbons für bestimmte Restaurants, mit Anschrift und Datum, damit du nicht durcheinanderkommst.«
» Hör mal, du dummes Huhn!« Jetzt ist das Fass übergelaufen. » Wie kommst du
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