Neonträume: Roman (German Edition)
scharf wie das Stilett eines Outlaws!«
» Sag mal, Andrej, wie bringst du superteure Luxusschlitten mit Kaputtheit zusammen?«
» Das, äh, ist quasi eine von mehreren Erscheinungsformen, eine Variation, ich meine Variante, verstehst du? Warum reitest du ständig darauf herum, das ist doch nebensächlich. Eine Variante unter anderen! So ähnlich wie beim Gangsta-Rap aus New York oder aus Los Angeles. Zwei Stilrichtungen, weiter nichts. Es geht immer um dasselbe, nur die Form ist unterschiedlich.«
Schon wieder klingelt sein beschissenes Telefon. » Ja, ja, ich bin schon unterwegs«, spricht er ins Mikro und schaltet aus. Aber anstatt durchzustarten, dreht er sich noch einmal zu mir um und sieht mich durchdringend an.
» Andrej, ich kann dich wirklich gut leiden, aber deine Band klingt nach einem Rudel Kids, die sich mit Wodka zudröhnen und dann irgendwelchen Schwachsinn ins Mikrofon grölen, über Sachen herziehen, die sie nur vom Hörensagen kennen, teure Handys, BMW s und was weiß ich alles. Der ganze Konsumfetischscheiß, auf den sie nämlich in Wirklichkeit scharf sind. Schwachsinn eben. Weißt du, wenn du Spaß daran hast, dann mach deinen Gangsta-Rap…«
» Gangsta- Trash, Jora, Gangsta- Trash. Um Himmels willen, bring nicht die Termini durcheinander, die sind die Basis jeder Ideologie!«
» Meinetwegen auch Trash. Mach deinen Trash zu Hause im stillen Kämmerchen, aber zeig ihn um Gottes willen niemandem, außer wirklich guten Freunden. Kein Mensch wird das Zeug produzieren. So, jetzt muss ich wirklich los.«
» Ey, hör mal, so kannst du mit mir nicht reden, okay?« Ich unternehme einen letzten Versuch, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. » Ich bin nicht irgend so ein alberner Timati, ich kenne die Straße. Ich bin auf der Straße groß geworden, verstehst du? Das sagen doch schon unsere Texte. Hast du denn nicht richtig zugehört? Gib es zu, du hast unser Tape gar nicht richtig angehört, stimmt’s? Ich hab volles Verständnis dafür, man hat nie genug Zeit und so weiter, man hört ein paar Tracks im Auto, telefoniert nebenher, wird permanent abgelenkt, das rauscht einfach so am Ohr vorbei. So ist es doch, oder? Hör’s dir einfach nochmal an, okay? Dann wirst du mir auf Knien danken, dass ich nicht zu einem anderen Produzenten gegangen bin, das verspreche ich dir!«
» Andrej, damit das klar ist: Ich höre mir meine Sachen sehr genau an. Und soll ich dir was sagen?«
» Was denn?«
» In Moskau steigt kein Qualm aus den Gullideckeln. In New York mag es das geben, vor allem in amerikanischen Actionstreifen oder in den Videoclips von Michael Jackson. In Moskau sind die Gullideckel dicht.«
» Na und? Zugegeben, eine kleine Ungenauigkeit, aber darauf kommt es doch nicht an. Ich meine, es geht hier doch nicht um Gullideckel. Das ist doch nicht der Kern der Sache, Alter.«
» Dein Demo ist eine einzige Ungenauigkeit. Es ist einfach schlecht, Andrej. In Worten: schlecht! Und jetzt Feierabend. Ich muss los!«
Er gibt mir einen Klaps auf die Schulter und zischt ab.
» Ich ruf dich morgen an!«, brülle ich ihm nach. » Übrigens, bist du am Freitag im Djaghilew? Vodka-Imperial veranstaltet da eine super Party!«
Jora dreht sich um und sieht mich an, als hätte ich gerade den Verstand verloren. Dann zuckt er mit den Schultern und trabt weiter. Anscheinend hat er schlechte Laune. Oder Vodka-Imperial sponsert seine Veranstaltungen nicht.
» Jora, könntest du mir vielleicht vier Einladungen für die Eröffnung von der › Brücke‹ zukommen lassen?«
Ein letztes Mal dreht er sich um und signalisiert mir, er würde mich anrufen.
» Okay, Alter«, sage ich nur mit den Lippen.
Die folgenden zwanzig Minuten verbringe ich mit der erfolglosen Belagerung der Geschäftsführerin des Nostalgia. Sie will partout nicht einsehen, dass es für mich überlebenswichtig ist, dieses Interview mit Igor Bucharow im Laufe der nächsten zwei Tage zu machen.
» Eine Mitarbeiterin Ihres Magazins hat mit Herrn Bucharow einen Interviewtermin für letzte Woche vereinbart«, bemerkt sie berechtigterweise. » Aber es ist niemand von Ihrer Seite erschienen.«
Na ja, letzte Woche war alles irgendwie ziemlich kompliziert. Aber was soll das jetzt? An Uhrzeiten hält man sich, wenn man ins Kino geht, aber als Journalist richtet man sich nach den Gesetzen der schöpferischen Inspiration. Hast du davon irgendeine Ahnung, du fühllose Tippse? Was willst du von mir hören? Dass ich mir ein Bein gebrochen habe?
Weitere Kostenlose Bücher