Neonträume: Roman (German Edition)
man sich nach der Inspiration, nicht nach dem Terminkalender.« Ich habe anscheinend den richtigen Ton getroffen, denn Katja sieht mich schon erheblich interessierter an. Ich vermute zwar, sie hat unser Magazin noch nie gelesen, aber bestimmt schon davon gehört. Tja, die Macht der Promotion!
» Den letzten Punkt haben wir ja taktvoll übergangen«, bemerkt sie, und ich glaube tatsächlich, so etwas wie Hoffnung in ihrer Stimme zu hören.
» Den letzten Punkt? Ach so, nein, ich bin nicht verheiratet. Bin nicht und war nicht. Ist mir zu kompliziert irgendwie.« Diese Bemerkung untermale ich mit gekonnter Trauermiene.
» Physische Probleme?«, hakt sie nach. Sie will sich anscheinend noch ein bisschen weiter in Scharfsinn üben.
» Häschen, du schießt ja brutal aus der Hüfte.« Ich imitiere das Geräusch eines Schusses. » Nein, das ist nicht mein Problem. Aber hör mal, was stehen wir hier eigentlich herum wie die Pfeiler der Krimbrücke? Wollen wir nicht zusammen einen Kaffee trinken?«
» Die Pfeiler der Krimbrücke!« Sie lacht glockenhell. » Das hab ich ja noch nie gehört!«
» Hab ich mir ja auch gerade erst ausgedacht«, gebe ich zu.
» Ehrlichkeit ist heutzutage eine seltene Eigenschaft«, lächelt sie.
Genauso selten wie Lippen ohne Silikon, denke ich.
» Zwei Minuten von hier gibt es ein cooles Sommercafé, das Schatjor. Die haben sogar echte venezianische Gondeln. Bist du schon mal Gondel gefahren? Ich meine, nicht mit einem Mercedes oder so, mit einer echten Gondel, hier in Moskau?«
» Noch nie.«
Fünf Minuten später liegen wir auf einem gemütlichen Sofa, trinken grünen Tee und Cocktails und plaudern über ihr heiteres Studentenleben. Sie studiert im vierten Studienjahr Wirtschaftswissenschaften. Ich vermute, sie wohnt im Studentenwohnheim, aber das stört ja nicht. Ich gebe die obligatorischen Storys aus dem Leben eines weltgewandten Journalisten zum Besten, reiße zwischendurch ein paar halbgare Kalauer und lache ansonsten oft und laut, wenn sie unwitzige Geschichtchen über ihre Kommilitonen erzählt. Die Welt leuchtet mir in demselben zarten Grün wie ihr Mojito, von dem ich dann und wann mit dem Strohhalm ein wenig schlürfe. Auf einem Bildschirm im Hintergrund singt Sade, die Kellner huschen lautlos zwischen den Tischen hindurch, und ein sichtlich alkoholisierter Gondoliere versucht das Ruder seines Fahrzeugs zu reparieren. Irgendwann erscheint Bucharow, ich winke ihm einen lässigen Gruß zu, den er mit einem kaum merklichen Nicken erwidert, und erkläre Katja auf ihre neugierige Frage: Ach, das ist der Chef von diesem Laden, wir kennen uns schon seit hundert Jahren. Beeindruckt sagt sie: Du kennst wahrscheinlich viele Leute. Worauf ich versonnen vor mich hin nicke: Das bringt mein Job nun mal so mit sich. Mehrmals versucht mein Handy, unsere Idylle zu stören. Schließlich schalte ich es einfach aus und lasse eine Wasserpfeife kommen. Katja wünscht sich Doppel-Apfel, und ich stelle zum wiederholten Male fest, dass offenbar alle Studenten Doppel-Apfel bevorzugen, warum auch immer. Vielleicht liegt es an einer Fernsehserie, die ich nicht kenne? Der Gondoliere allerdings müht sich an diesem Nachmittag vergeblich, sein Ruder zurechtzubiegen, unsere Gondelfahrt müssen wir also verschieben. Irgendwann trennen wir uns unter Austausch positiver Emotionen und unserer Handynummern. Wobei mir vor allem an Letzterem gelegen ist, versteht sich.
Freunde
» Das ist kein Tag, sondern eine Katastrophe«, stöhne ich und lasse mich auf einen Stuhl fallen.
» Hast du dich überarbeitet?«, feixt Wanja und streichelt seinen Bizeps. Wanja trägt ein schwarzes T-Shirt, eine Longines-Uhr, dunkelblaue, fast schwarze Jeans mit geraden Beinen und schwarze Turnschuhe mit drei Klettlaschen, alles von U-3. Meiner Meinung nach sieht das komplett scheiße aus, sowohl in punkto Klamottenlabel als auch von der Farbpalette her. Wanja trinkt Evian und striegelt mit der Hand permanent seinen borstigen Schädel. Er hat eine gesunde, rosige Gesichtsfarbe, man sieht sofort: Der Mensch kommt gerade aus dem Fitness-Studio. Er ist einen Meter neunzig groß, hat breite Schultern und Hände wie ein Fernfahrer, allerdings manikürt (ziemlich ekelhafte Kombination, finde ich). Ehrliche blaue Augen, vereinzelte Sommersprossen auf der Nase, volle Lippen, mit einem Wort: ein attraktiver Mann, der Traum jeder heiratsfähigen Frau. Wanja– übrigens derselbe Geburtsjahrgang wie ich– kam vor ungefähr zehn Jahren aus
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