Neonträume: Roman (German Edition)
Augenwinkeln. Aber das Beste an ihr sind die Augen. Denn der entscheidende Unterschied zwischen einem dreißigjährigen Pornomodel und einer echten Studentin ist nicht der Körper, sondern der Blick. So einen reinen, unverdorbenen Blick findet man weder bei Chasey Lain noch bei Pamela Anderson, das können Sie mir glauben als gestandenem Fan von Magmafilm. So einen Blick findet man nur bei Studentinnen des dritten oder vierten Studienjahres, die meinetwegen aus Saratow, Rostow, Nowosibirsk oder Samara nach Moskau gekommen sind, um mit niedlichen Mäusezähnchen am trocknen Brot der Wissenschaft zu knabbern. Aber spätestens mit dem fünften Studienjahr ist es vorbei mit der Bescheidenheit, dann sind ihnen allesamt gewaltige Reißzähne gewachsen, und die bezaubernde Begeisterung in den Augen ist für immer und ewig verschwunden.
» Ja, natürlich!« Ich strecke ihr die Einladungen entgegen. » Das ist Ihnen aus der Tasche gefallen!«
Sie nimmt die Einladungen, sieht die Worte » Exklusive Pre-Party« und » Michael Jackson« und gibt sie mir sofort wieder zurück, als hätte sie sich die Finger verbrannt.
» Das gehört mir nicht.«
Aber sie bleibt stehen!
» Ich weiß«, sage ich und setze meinen allerbetrübtesten Gesichtsausdruck auf. (Wer sollte dich auch eingeladen haben? Dein Physiklehrer?) » Das sind nämlich meine eigenen Einladungen. Ich dachte nur, ich könnte auf diese Weise eine wunderschöne Frau kennenlernen.«
» Originelle Methode«, sagt sie kokett.
» Überhaupt nicht. Eher ziemlich dumm«, korrigiere ich. » Aber ich habe nun einmal diese Einladungen und keine passende Begleitung dazu. Ich laufe Ihnen schon seit zehn Minuten nach.«
» Wirklich? Seltsam, ich bin nämlich gerade erst aus der Straßenbahn ausgestiegen.«
» Ups!« Eine Sekunde lang bin ich irritiert, aber dann finde ich zurück in die Spur. » Das ist ja wirklich seltsam. Ich muss völlig das Zeitgefühl verloren haben. Es war wie im Märchen. Ich ging so vor mich hin und betrachtete Sie…«
» Tja, unglaublich. Sachen gibt’s…« Sie zögert einen Moment, offenbar überlegt sie, ob sie dieses Gespräch fortsetzen soll oder nicht.
» Wissen Sie, ich habe auch immer gedacht, so etwas gibt es nur im Kino: Liebe auf den ersten Blick. Ich könnte Ihnen bis nach Petersburg nachlaufen.« Solange ihr Blick noch auf mir ruht, gebe ich ihr keine Möglichkeit, sich anders zu besinnen. » Ich heiße Andrej. Früher Historiker, gegenwärtig ein wenig Journalist und in Zukunft ein ganz, ganz bisschen Musiker.«
» Das ist ja hochinteressant!«, sagt sie. Ziemlich abgedroschene Bemerkung, aber immerhin von einem Lächeln begleitet.
» Nein, nein, das ist ganz langweilig– im Vergleich zu Ihren Augen!«, flöte ich. » Und wie heißt die Besitzerin dieser wunderschönen Augen?«
» Meinen Sie mich? Ich heiße Katja.«
» Katja! Was für ein hochherrschaftlicher Name. Wie Katharina de Medici, oder Katharina die Große. Stell dir vor, in meinem ganzen fünfundzwanzigjährigen Leben ist mir nur eine einzige Katja begegnet! Katrin Vesna, die DJ ane. Ulkig, nicht? Ist das vielleicht Schicksal?«
» Sind wir jetzt schon per du? Du bist ja wirklich ein fixer Bursche!« Oha, die Dame macht anscheinend auf intelligent.
» Tja, ich fand Gasgeben schon immer spannender als Bremsen, das ist mein Lebensprinzip. Ich habe Angst, einen Wink des Schicksals zu verpassen, wenn du weißt, was ich meine.« Womit ich wieder bei meiner üblichen Masche bin.
» Bist du auch DJ ?«, fragt sie jetzt neugierig und schürzt ein wenig die Lippen. Mein Gott, und was für Lippen!
» Aber nein!«, mache ich geringschätzig. » Schallplatten umdrehen ist nicht mein Ding. Ich bin Dichter. Ich schreibe Texte. Hip-Hop, Gangsta-Trash und so weiter. Ich bin Frontmann der Gruppe Moskauer Schnee. Schon mal davon gehört?«
» Nee.«
» Wir treten ziemlich selten auf. Hauptsächlich auf geschlossenen Veranstaltungen. Für Freunde. Wir wollen auf keinen Fall, dass unsere Kunst zu banalem Geschäft wird. Davon hab ich in meinem normalen Leben genug.«
» Verstehe«, grinst sie wieder. » Morgens im Büro, abends im Klub und nachts im Bettchen bei der Ehefrau.«
Was für ein scharfsinniges Mädchen! Du gehörst eigentlich in den Comedy-Club, meine Hübsche.
» Jeden Morgen ins Büro tapern? Nee, nichts für mich. Das verträgt sich auch nicht mit unseren Band-Proben. Außerdem bin ich Miteigentümer des Beobachters. Weißt du, wenn man kreativ tätig ist, richtet
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