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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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wird.«
    Nando holte tief Atem. Ihm war bewusst, dass Morpheus recht hatte, und doch beschlich ihn ein mehr als mulmiges Gefühl, wenn er daran dachte, was der Senator ihm da anbot. Doch Antonio vertraute Morpheus, das stand außer Zweifel, und Nando hatte ihn vom ersten Augenblick an gemocht. »Dann wäre ich ein … Cyborg«, sagte er und konnte sich nicht gegen den Schauer wehren, der bei diesen Worten über seinen Rücken kroch.
    Morpheus lachte spöttisch auf. »Ein Cyborg, höre sich einer das an!«, rief er sichtlich amüsiert und schlug sich auf den Oberschenkel. »Du sagst das in einem Tonfall, als hättest du zu viele Science-Fiction-Geschichten gelesen! In der modernen Biotechnologie der Oberwelt gibt es seit Langem Bestrebungen, biologische Materien mit technischen Elementen zu verbinden. Hast du noch nie etwas von Bioelektronik gehört, mein Freund? Diese Verwendung komplexer binnenkörperlicher Technologie ist längst nichts Neues mehr. N. Katherine Hayles schreibt im Cyborg Handbook: Ungefähr zehn Prozent der aktuellen Bevölkerung der USA sind vermutlich im technischen Sinn Cyborgs , und sie hat recht . Was sagst du zu Menschen mit Implantaten wie Herzschrittmachern oder Implantaten in Auge und Ohr? Auch sie sind nach dem Begriff bereits Cyborgs.« Er grinste kurz. Dann beugte er sich ein wenig vor und wurde ernst. »Ich verwandle dich nicht in eine Maschine, Nando. Wenn du wissen willst, wer du bist, geht es um mehr als ein wenig Metall im Körper. Diese Erfahrung habe ich am eigenen Leib gemacht.«
    Mit diesen Worten knöpfte er sein Hemd auf und zog es über die linke Brust hinab. Nando hob überrascht die Brauen. Metallene Streben bildeten Morpheus’ Schulter und hatten sich bis tief in seine Brust hineingeschoben.
    »Ich war neunundzwanzig Jahre alt, hatte gerade meinen Doktor der Medizin erhalten und arbeitete als Chirurg in einem Krankenhaus der Oberwelt. Meine Freundin und ich waren verlobt, wir wohnten in einem schicken Penthouse in bester Lage, die Aussichten auf mein künftiges Leben waren glänzend. Und dann kamen die Engel.« Morpheus’ Blick glitt ins Leere, Schatten tanzten durch seine Augen und verliehen seinem Gesicht eine ungewohnte Härte. »Sie kamen, um ein junges Mädchen zu holen. Sie war ein Nephilim, wie ich später erfuhr. Ich hatte Notdienst in jener Nacht, das Mädchen lag mit mittelschweren Verbrennungen an Händen und Armen auf meiner Station. Auf einmal drangen laute Stimmen aus ihrem Zimmer, ich sah drei Männer, die sie angriffen und etwas nach ihr warfen. Für mein menschliches Auge sah es aus wie ein Ziegelstein, in Wahrheit war es ein schwarzer Flammenwirbel, der ihr sofort den Schädel zerschlug. Die Angreifer flohen, einen von ihnen packte ich am Arm. Damit besiegelte ich mein Schicksal. Der Engel zertrümmerte mir die Schulter und trennte meinen Arm mit einem einzigen Hieb von meinem Körper. Als ich ihm unter Schock nachtaumelte, brach er mir das Rückgrat. Noch heute fühle ich die Welle aus Schmerz auf mich zurasen. Das Erste, das ich sah, als ich erwachte, war Antonios Gesicht.«
    Erstaunt hob Nando die Brauen. Morpheus lächelte leicht. »Er war zu spät gekommen, um das Mädchen zu holen – doch er rettete mich. Er brachte mich in die Unterwelt Roms und schenkte mir ein neues Leben. Und so bin ich der geworden, der nun vor dir sitzt: Mensch und doch nicht nur Mensch, Maschine und doch mehr als das.«
    Nando nickte und betrachtete nachdenklich seinen Arm. »Er erinnert mich jeden Tag an die Zeit vor alldem hier. Er erinnert mich daran, dass ich in die Oberwelt gehöre und … «
    Morpheus stieß leise die Luft aus. »Auch ich komme aus der Welt der Menschen, Nando, ebenso wie du. Doch mitunter stehen wir vor der Wahl, entweder unser altes Leben weiterzuführen, das möglicherweise nie das unsere war – oder neue Wege zu beschreiten. Dort oben, weißt du, ergeht es vielen Menschen wie mir. Ihnen wird ein solches Schicksal nicht durch einen Engel beschert, und doch führen viele von ihnen eine Existenz am Rande der menschlichen Gesellschaft. Sie sind anders , verstehst du? Dort oben wäre ich ein Krüppel geworden – und zwar nicht körperlich, nein, sondern innerlich, bis ganz tief hinein.« Er griff sich ans Herz, um seine Worte zu verdeutlichen, und verzog das Gesicht wie unter Schmerzen, ehe ein schwaches Lächeln über seine Lippen glitt. »Hier unten aber bin ich Morpheus, der Herr der Träume. Und ich bin dankbar für diese Möglichkeit.

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