Nephilim
seine Haut setzte. Wie durch tausend Tücher fühlte er den Schnitt. Er hielt die Augen geschlossen, und noch während er den dumpfen Rausch des Morphiums fühlte, stiegen Bilder in ihm auf, verschwommen und schemenhaft wie vergessene Träume. Er sah eine Sommerwiese im sanften Wind, die Wellen eines Meeres, die glatt geschliffene Steine über den Strand spülten und sie immer ein Stück weiter mit hineinrissen in den Ozean, sah den Vollmond hinter einem Sturm aus Gewitterwolken im Herbst, und er wusste nicht, ob es seine eigenen Gedanken waren, die ihm zwischen Ahnen und Wachen begegneten. Er wusste nur, dass diese Empfindungen nicht vom Morphium herrührten, dass er auf einmal vollkommen ruhig wurde und in sich selbst hineinsank, ohne den Halt zu verlieren, und er empfand eine tiefe Stille und Geborgenheit, die jede Faser seines Körpers durchströmte. Er erinnerte sich nicht, jemals etwas Ähnliches empfunden zu haben, aber das Gefühl ließ ihn an die Sicherheit denken, die er früher in den Armen seiner Eltern empfunden hatte. Die Sehnsucht nach ihnen überkam ihn, aber auch sie war sanft und von einer Wärme durchzogen, die ihn inmitten der verwaschenen Bilder schweben ließ, ohne dass ein innerer oder äußerer Schmerz ihn hätte treffen können.
Er wusste nicht, wie lange er so gelegen hatte, als die Bilder schließlich blasser wurden und ein brennender Schmerz seinen Arm durchzog. Wie nach einem langen Schlaf öffnete er die Augen. Seine Finger fühlten sich an, als steckten sie in einem weichen Handschuh, und er spürte Metall auf seiner Haut bis hinauf zum Ellbogen. Sein Herz klopfte schnell in seiner Brust, als er den Blick wandte. Das Erste, was er sah, war Kayas Gesicht. Sie hatte seine Hand losgelassen und schwebte über ihm in der Luft, die Augen in haltlosem Staunen verklärt. Nando holte tief Atem und schaute hinab auf seinen Arm.
Winzige Zahnräder, kupferfarbene Metallschlingen und Bänder aus geschliffenem Stahl wanden sich um seinen Arm. Er fühlte keine offenen Wunden, keine Schnitte mehr, und doch war es, als wären Stahl und Kupfer mit seinem Arm verbunden, als wären sie ein Teil des Knochens geworden und würden sich nun in geschlungenen Streben bis hinauf zur Hand ziehen. Jeder seiner Finger war in durchbrochenes Silber gehüllt, Nando erkannte kunstvolle Verzierungen darauf und filigrane Plättchen, die seine Haut durchschimmern ließen. Vorsichtig berührte er das Metall mit der rechten Hand. Es war warm wie von Blut durchflossen. Langsam hob er den Arm, er war kaum schwerer als zuvor, und bewegte die Finger.
Der Schreck kam so plötzlich, dass er aufschrie. Kaya erwiderte seinen Schrei, so sehr erschreckte sie sich, und Morpheus hüpfte ein ganzes Stück weit auf seinem Rollstuhl in die Höhe. Doch Nando bemerkte es kaum. Sein Blick hing an seiner neuen Hand, an den Fingern, die sich fest zur Faust geballt hatten, und er fühlte seinen Puls in den Fingerspitzen, sein Blut in den Adern und die Anstrengung, die es ihn kostete, diese Bewegung auszuführen. Seine Hand war befreit worden, kein Schmerz drohte mehr hinter jeder noch so kleinen Bewegung und auch keine Lähmung. Hingerissen betrachtete er seine Faust, streckte die Finger, krümmte sie wieder und konnte sich nicht sattsehen. Er beugte das Handgelenk ein wenig, streckte den Zeigefinger vor – und wurde im nächsten Augenblick von einem gewaltigen Rückstoß in die Liege gepresst. Er sah noch den Feuerball, der aus seinem Finger schoss und krachend in eine der Tentakellampen einschlug. Dann starrte er fassungslos auf seinen Arm.
Morpheus kicherte. »Freut mich, dass dir deine neue Hand gefällt. Wie ich es dir versprochen hatte: Sie kann mehr als vorher. Um deine Zauber zu verstärken, kannst du diese Kapseln verwenden.«
Er drückte unterhalb der Ellenbeuge auf ein winziges Stahlplättchen, das sich aufklappte und zwei kleine Energiekapseln sehen ließ, die wie Batterien nebeneinanderlagen. Dann begann er, Nando zahlreiche Funktionen zu erläutern, die sowohl dieser als auch Kaya mit staunenden Blicken verfolgten.
»Es gibt noch einige weitere Funktionen, die man dir besser erklären sollte«, stellte Morpheus nach einer ganzen Weile fest. Er nahm einen Zug aus seiner Atemmaske, dann wischte er sich die Haare aus der Stirn. »Am besten fragst du Antonio, er wird dich einweihen in die Wunder deiner neuen Hand. Oder komm bei mir vorbei – wenn du keine Angst vor meinen Engeln hast.«
Er lachte leise, doch Nando schaute noch
Weitere Kostenlose Bücher