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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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steilen Felshängen des zerklüfteten Flusstales der Stadt Matera lagen und die Carlo Levi einst mit der trichterförmigen Hölle Dantes verglichen hatte. Nando hatte die Sassi einmal mit der Schule besucht und war fasziniert durch die Höhlenwohnungen gestreift. In der Varja-Siedlung vermittelte die breite Straße, über die ein herrenloser Wind Ascheflocken trieb, den Eindruck einer verlassenen Westernstadt, und überall wuchsen fluoreszierende Pflanzen, die – von Glühwürmchen umschwirrt – alles in bläuliches Licht hüllten. Vereinzelt lagen Vorbauten mit Dächern aus Holz oder dünnen Ziegeln vor den eigentlichen Wohnungen im Fels. Jede Behausung verfügte über Fenster aus Glas, die mitunter ein wenig schief im Stein der Höhle saßen, und gemauerte Schornsteine ragten aus den mit Moos und Flechten überwucherten Vorbauten. Es war ein Ort der Verwunschenheit, ohne jede Frage, und doch spürte Nando, kaum dass er einen Schritt auf der Straße getan hatte, einen Schatten, der sich über sie legte, einen kühlen Hauch, der ihm über die Wangen strich und keinen Zweifel daran ließ, dass ihre Ankunft bemerkt worden war. Er warf Riccardo einen Blick zu, dessen angespannte Haltung verriet, dass auch er die Veränderung in der Luft bemerkt hatte, und auch Ilja und Paolo hatten die Hände auf ihre Waffen gelegt und schauten sich wachsam um. Nur Noemi ging ruhig und gelassen die Straße hinab, beide Handflächen nach vorn gedreht, als würde sie die Energien ihrer Umgebung erspüren wollen.
    »Die Varja waren nicht nur mächtige Hexen und Heiler«, sagte sie leise. »Sie haben auch Beschwörungen durchgeführt, wenn es nötig war, sie konnten starke Zauber wirken … « Sie hielt inne, doch Nando konnte sich auch so denken, was sie sagen wollte: Manchmal waren die Objekte dieser Rituale nicht wieder verschwunden.
    Er umfasste den Knauf seines Schwertes so fest, dass er seinen Pulsschlag in den Fingern fühlte, und bewegte seine metallene Hand. Etwas zog sich über den Dächern der Vorbauten zusammen. Es war, als würde unsichtbarer Dunst aus den Ritzen und Nischen der Felswände dringen und sich hinter den Besuchern dieser vergessenen Siedlung zu giftigen Wolken türmen. Nando bemühte sich, ruhig zu atmen, doch immer wieder fuhr ihm ein plötzlicher Windstoß in den Nacken, etwas griff nach seinem Haar, und in der Ferne meinte er, ein Lachen zu hören, heiser und krächzend wie der Schrei einer uralten Krähe. Er wandte den Blick zu den Wohnungen und sah vereinzelt ein Flackern hinter den Scheiben, als würden sich die Farben von Nordlichtern darin brechen. Und dann hörte er ein Scharren, laut und deutlich und direkt hinter ihnen.
    Sie blieben stehen wie erstarrt, doch noch ehe einer von ihnen auch nur den Blick gewandt hatte, sagte Noemi: »Dreht euch nicht um!«
    Mit ihrer Stiefelspitze holte sie ein wenig Erde zwischen den Steinen hervor, zog das Knie an den Körper und ergriff die Erde mit der Hand, ohne sich zu bücken. Lautlos führte sie die Faust zum Mund und flüsterte einen Zauber. Dann fuhr sie mit fließender Bewegung herum und warf die Erde vor sich.
    Nando riss erstaunt die Augen auf. Dort, wo gerade noch nichts als die verlassene Straße gewesen war, prasselte die Erde nun gegen eine bisher unsichtbare Gestalt und blieb an ihr haften. Der Körper einer kleinen Frau zeichnete sich ab, in feinen Rinnsalen fiel die Erde an ihrem Gewand hinunter und malte dessen Falten nach. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht, ihre Haare fielen weit auf ihren Rücken hinab, und Nando meinte, ihr Lachen zu hören, rau und sanft.
    Noemi neigte demütig den Kopf und flüsterte dunkle, verschlungene Worte in der Alten Dämonensprache
    Fleisch von meinem Fleisch . Blut von meinem Blut.
    Erstaunt hob Nando die Brauen, als er begriff, dass sie einer Ahnin Noemis gegenüberstanden. Die Fremde streckte die mit hauchdünnen Erdpartikeln bedeckte Hand aus und fuhr Noemi durchs Haar wie ein Windhauch. Sie lächelte ein wenig, als Noemi ihren Blick erwiderte, neigte ebenfalls den Kopf und schritt an ihnen vorüber. Nando meinte, das metallene Klingeln ihrer Glöckchenbänder zu hören, als sie sich abwartend zu ihnen umdrehte.
    Paolo schluckte hörbar. »Sie ist ein Geist«, sagte er und wischte sich über die Stirn.
    Noemi drängte die Verzauberung, die ihre Züge gerade noch ganz weich gemacht hatte, zurück und bedachte ihn mit einem abfälligen Blick. »Viele Varja haben ihrer Seele mit mächtigen Zaubern schon zu

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