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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Mittel verhalf zur Sicht durch die Nacht jenes Ungeheuers, in dessen Reich sie eindringen mussten: der Nektar der Purpurblüte, die nur in wenigen Bereichen der Unterwelt wuchs und die sie nun auszogen zu finden.
    Sämtliche Novizen folgten Antonio schweigend. Auch Noemi war unter ihnen, doch Nando vermied es, sie anzusehen, und auch sie schien nicht sonderlich erpicht darauf zu sein, in seine Nähe zu kommen. Mitunter sah er ihren dunklen Haarschopf weit vorn unter den anderen Nephilim aufflammen, und jedes Mal stand wieder ihr zornverzerrtes Gesicht vor seinen Augen, er hörte die Stimme des Teufels wie von ferne und wandte sich ab wie nach einem Schlag.
    Er holte tief Atem. Gern hätte er Kaya mitgenommen, aber die Ernte der Purpurblüte war ein Ritus, zu dem ausschließlich Nephilim zugelassen waren, denen eine Prüfung bevorstand. Seit dem Anbeginn der Stadt hatten unzählige Novizen sich auf diesen Weg gemacht, waren in sich gegangen, hatten sich geprüft, um dann mit gefestigtem Entschluss den Nektar der Purpurblüte in einem bronzenen Behälter zu fangen. Nando dachte daran, dass auch Silas diesen Weg gegangen war, und mit diesem Gedanken nahm er die erhabene, feierliche Stimmung wahr, die ihn in den dunklen Tunneln umfloss.
    Immer wieder blieb Antonio vor schmalen Türen stehen und schickte einige Nephilim wortlos hindurch. Er mischte die Klassenstufen, bis am Ende neben Nando nur noch vier Novizen übrig waren: Riccardo, Ilja, Noemi und Paolo. Nando seufzte leise, als er den verkniffenen Gesichtsausdruck Paolos bemerkte. Er konnte sich selbst auch Angenehmeres vorstellen, als in der jetzigen Situation ausgerechnet in dieser Konstellation auf Blütensuche zu gehen. Antonio öffnete eine Tür, und die anderen eilten hindurch. Noemis Haar streifte im Vorübergehen seinen Arm, wie ein kühler Hauch zog ein Frösteln über seine Haut. Für einen Moment war er versucht aufzusehen, um zu erfahren, wie sie ihn ansah, doch dann heftete er seinen Blick auf den Boden. Er hatte sie häufig gesehen in den vergangenen Nächten, da der Wind kalt und unbarmherzig durch die Stadt gefegt war. Sie hatte auf den Dächern und besonders auf der Schwarzen Brücke gestanden und zum Fluss hinabgeschaut, und er erinnerte sich daran, wie reglos sie dagestanden hatte, beide Hände auf das Geländer gelegt, das Haar als dunkles Tuch um sich wehend. Über diese Brücke war sie mit Silas gegangen, und nicht nur einmal glaubte Nando, ein Zittern über ihren Körper laufen zu sehen, während sie in der Dunkelheit stand. Er ahnte, wie sie ihn anschaute, er kannte ihren Zorn, und er musste nicht in einem ehrwürdigen Moment wie diesem an die Geschehnisse im Speisesaal erinnert werden.
    Er warf Antonio einen Blick zu. Ein kaum merkliches Lächeln flammte in dessen Augen auf, doch Nando sah es nur, weil er inzwischen Übung darin hatte, die Mimik seines Mentors zu lesen. Für jeden anderen musste das Gesicht des Engels erscheinen wie ein Antlitz aus Glas und Stein. Nando neigte leicht den Kopf. Dann trat er durch die Tür.
    Kaum hatte er den Tunnel verlassen, schlug die Tür hinter ihm ins Schloss, und eisiger Wind fuhr ihm ins Gesicht. Die gerade noch feierliche Stimmung war wie weggewischt, und stattdessen senkte sich Unruhe auf seine Schultern, eine atemlose Anspannung, die ihn die Hand um den Knauf seines Schwertes legen ließ. Die anderen standen einige Schritt weit entfernt in einer kleinen Höhle, aus der verschiedene Korridore hinausführten. Nando vermutete, dass sie ihn am liebsten stehen gelassen hätten, aber sie hatten Anweisung, nur gemeinsam nach den Blüten zu suchen und erst in den Tunnel zurückzukehren, wenn sie alle eine solche gefunden hatten. Schweigend trat er zu ihnen und entzündete seine Fackel. Noemi hielt sich ein wenig abseits. Flüchtig schaute Nando sie an, ihr Gesicht war noch schmaler und bleicher geworden, und ihr Blick hing an einem Punkt in der Dunkelheit, als würde sie niemanden um sich herum wahrnehmen.
    »Also«, sagte Ilja, deren Miene ein kühler Schatten überzog, sobald sie in Nandos Richtung schaute. »Wo wollen wir suchen? Ein paar Gänge weiter gibt es eine schmale Kluft, auf deren Grund die Purpurblüten wachsen, wir könnten … «
    Paolo riss die Augen auf. »Eine Kluft?«, fragte er, und Nando konnte die Angst in seiner Stimme hören. Er wusste, dass Paolo sich vor Dunkelheit und engen Räumen fürchtete und nie im Leben freiwillig an einem Seil bis hinab auf den Boden des Abgrunds geklettert

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