Nephilim
wäre. Er irrte sich nicht. »Das ist keine gute Idee. Wer kann schon wissen, was in so einer Kluft alles lauert?«
Nando verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Paolo hat recht«, sagte er zu der Decke über sich. »Sicher gibt es dort unten Ungeheuer, die mit Vorliebe Nephilim mit Klaustrophobie und Angstschweiß auf der Stirn fressen, die es wagen, sich dort hinabzulassen.«
Ilja entfuhr ein Lachen, und obwohl Paolo ihr einen wütenden Blick zuwarf, behielt sie ein Grinsen auf den Lippen.
»Die Kluft ist zwar ein Stück weit von hier entfernt«, stellte Riccardo fest und schaute den Korridor hinab, in den Ilja gewiesen hatte. »Aber ich kenne sie, besonders tief ist sie nicht, und der Weg dorthin ist zwar uneben und sehr finster, aber geradlinig, so dass man sich nicht verlaufen kann. Ich schlage vor … «
»Und was ist mit der Varja-Siedlung?« Paolo fragte das so aufgeregt, dass alle ihn erstaunt ansahen, und räusperte sich schnell. »Nun, soweit ich weiß, ist sie nur zwei Tunnel von hier entfernt, dann geht es durch eine Höhle, und … «
»Meine Ahnen haben dort gelebt«, sagte Noemi leise. »Doch die Sklaven des Lichts haben sie vernichtet. Immer schon haben sie sich vor jedem Dazwischen gefürchtet.«
»Ja, ja«, sagte Paolo eilig. »Also, warum gehen wir nicht dorthin?«
Noemi warf ihm einen Blick zu. »Wenn es dich nicht stört, dass das Gerücht umgeht, dass es dort spukt, seit die Siedlung zerstört wurde … «
Paolo hob die Brauen und hatte schon den Mund geöffnet, als Riccardo zustimmend nickte. »Keiner von uns fürchtet sich vor Geistern«, stellte er fest. Er schaute zu Nando herüber, als würde ihm gerade bewusst werden, dass er ihn nicht ausgeschlossen hatte, dann zuckte er mit den Achseln. »Wenn dies der kürzeste Weg ist, sollten wir ihn gehen.«
Auch Ilja war einverstanden, und nachdem Paolo offensichtlich beschlossen hatte, seine Furcht vor Geistern für sich zu behalten, machten sie sich auf den Weg. Riccardo ging voraus, dicht gefolgt von Paolo, der ihm beinahe in die Hacken trat, so eifrig war er bemüht, nicht allein in den Schatten zu sein, und Ilja, die sich immer wieder zu Noemi umwandte. Nando bildete das Schlusslicht. Er vermied es, auf Noemis Haar zu achten, das ihr geistergleich hinterherglitt, beobachtete das Licht der Fackeln, das sich gespenstisch gegen die Wände warf, und lauschte auf die angespannte Stille inmitten des Gesteins. Die Tunnel, durch die sie gingen, waren schmal und teilweise von Spinnweben überzogen, ein Umstand, der in den Tiefen, in denen sie sich befanden, merkwürdig anmutete. Nando hatte wenig Insekten gesehen, seit er in der Unterwelt lebte, und als er das Feuer seiner Fackel näher an die Netze hielt, kam es ihm fast so vor, als betrachtete er die Kunstwerke einer anderen Welt. Und doch verharrte die Anspannung auf seinen Schultern. Sie befanden sich nicht länger im Schutz Bantoryns. In den Gängen der Schatten gab es einige Wesen, die mit Vorliebe Jagd auf Nephilim machten – und Engel waren nur eine Sorte davon.
Nach kurzer Zeit gelangten sie in eine Höhle, und dort nahm Nando zum ersten Mal den würzigen Duft von Kräutern und Rauch wahr, der ihn an trockenen Waldboden und Lagerfeuer denken ließ. Eine Kolonie von Fledermäusen bevölkerte die Decke, Nando hörte sie miteinander kommunizieren. Vereinzelt flogen sie mit zackigen Bewegungen durch die Luft, und ihre ledrigen Flügel verursachten ein flatterndes Geräusch, das tausendfach gebrochen von den Wänden widerhallte. Ein Lächeln stahl sich auf Nandos Lippen, als sie die Höhle durchschritten, und er gab sich der Illusion hin, dass er in Wahrheit nicht im Inneren der Erde war, sondern einen Wald durchwanderte, in dem die Tiere der Nacht gerade erwacht waren und ihn mit heiserem Ruf willkommen hießen.
Sie folgten Noemi, die nun voranging, durch den einzigen Tunnel, der abgesehen von ihrem Hinweg aus der Höhle hinausführte. Die Decke hing ein wenig zu tief, Nando musste sich ducken, während er den anderen folgte, und nahm verstärkt den Duft des Waldes wahr. Noemi brannte mit ihrer Fackel ein großes Spinnennetz nieder, das zischend in Flammen aufging, und trat mit den anderen aus dem Tunnel. Sie befanden sich am Grund einer Höhle, und vor ihnen lag die Varja-Siedlung.
Zu beiden Seiten der breiten, mit Katzenkopfpflaster bedeckten Straße waren Wohnungen in die Wände geschlagen worden. Unweigerlich musste Nando an die Höhlensiedlungen Sassi di Matera denken, die an den
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