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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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ihm sprechen zu hören, ohne Zorn und mit dieser Leere in der Stimme, während tiefer Schmerz in ihren Augen stand. Es war fast, als wäre er in einen Traum geraten, ohne es zu merken, doch er schob diesen Gedanken beiseite, lehnte sich seitlich gegen einen Balken, an dem allerlei Töpfe und Pfannen hingen, und nickte. »Manchmal ist es leichter zu zweifeln, als einer Ahnung zu vertrauen, die man nicht mit Händen greifen kann. Die Menschen der Oberwelt gehen schon seit sehr langer Zeit diesen Weg. Ich habe das lange nicht gewusst. Ich habe ja selbst nichts von der Schattenwelt und ihren Bewohnern geahnt, und jetzt … «
    Noemi wandte sich ihm zu, prüfend ließ sie ihren Blick über sein Gesicht gleiten. »Jetzt denkst du, dass du zu ihr gehörst?«
    Ihre Stimme hatte tonlos geklungen, und doch wusste Nando plötzlich, dass ihre Ahnin die Zukunft voraussagen konnte, damals, als ihre Stimme noch diese Räume durchdrungen hatte wie helles Licht. Er zuckte die Achseln, doch Noemi schien gar keine Antwort zu erwarten.
    »Dieser Ort ist etwas Besonderes«, sagte sie und strich über die steinerne Wand. »Die Varja entsprangen dem Volk der Ra’fhi, Dämonen, deren Ursprung niemand mehr kennt, so alt waren sie. Dies hier war ihre letzte Siedlung. Die Ra’fhi lebten im Einklang mit der Welt, ähnlich den indigenen Völkern der Menschen. Meine Mutter hat viel von ihnen gesprochen, sie spürten die Ströme der Zeit, hat sie immer gesagt. Und wenn die Cor Wanoy, die uralten Engel aus den Annalen der Ersten Zeit, der Atem der Welt sind, so waren die Ra’fhi das Blut in ihren Venen. Doch sie wurden vernichtet, sie alle.«
    Ein Windhauch strich in plötzlicher Kälte über Nandos Wangen, Noemis Haar wehte in seinem Zug. »Was ist mit ihnen passiert?«, fragte er leise, doch Noemi hob so abrupt den Kopf, dass er zusammenfuhr. Sie schob den Stuhl zurück und trat auf ihn zu. Das blaue Licht der fluoreszierenden Pflanzen tanzte auf ihren pechschwarzen Haaren, und ihre Finger waren warm, als sie den Zauber von seiner Hand nahm und das Mark der Purpurblüte in ihrem Behälter verstaute. Sie fing seinen Blick, er spiegelte sich in der Finsternis ihrer Augen und kam sich auf einmal vor wie ein Kind, das nichts verstand.
    »Die Engel fanden diese Siedlung«, flüsterte sie. »Es geschah mitten in den Teufelskriegen, damals, als es nur Schwarz oder Weiß gab, und sie töteten sie alle.«
    Für einen Moment flammte der Zorn in Noemis Augen auf, jener Hass, der ihr Gesicht stets in eine Maske der Kälte verwandelte, doch gleich darauf kehrte der Schmerz in ihren Blick zurück. »In diesem Volk liegen meine Wurzeln. Ich habe nie viel darauf gegeben, aber in letzter Zeit meine ich manchmal, die Stimmen meiner Ahnen im Nebel der Ovo zu hören. Ich fühle die Klänge ihrer Lieder und den Wind der Welt in meinen Haaren. Die Ra’fhi wurden vernichtet, aber sie waren frei. Mein Vater sagte immer, dass sie das Herz der Welt in sich getragen haben. Und es gab eine Zeit, da es keine Kriege gab, keinen Zorn und keine Furcht. Mein Vater hat mir oft von dieser Zeit erzählt, obgleich er sie selbst niemals kennenlernte. Es muss schön gewesen sein, damals gelebt zu haben – meinst du das nicht auch?«
    Nando nickte kaum merklich. »Vielleicht kann es wieder so werden. Eines Tages.«
    Sie sah ihn an, forschend und mit einer angedeuteten Falte zwischen den Brauen, doch gerade als sie den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, stob ein heftiger Windstoß durch die Tür auf Noemi zu und ließ sie kreidebleich werden.
    Eilig lief sie aus dem Haus, Nando folgte ihr auf die Straße. Die anderen hockten noch immer bei der Quelle, doch Nando sah deutlich die Umrisse von Noemis Ahnin, die nun langsam verschwanden. Er folgte dem Fingerzeig der Geisterfrau und erkannte am Ende der Straße ein leichtes Flackern in der Luft. Er zog die Brauen zusammen, langsam trat er an Noemi vorbei, die wie angewurzelt stehen geblieben war, und glaubte im ersten Moment, einem weiteren Geist gegenüberzustehen. Er wollte gerade Erde vom Boden aufheben und sein Gegenüber in eine Gestalt zwingen, als sich die Luft am Ende der Straße veränderte. Es war, als würde Wasser über einen Schemen fließen, als würde sich die Gestalt aus der Luft selbst ins Sichtbare schieben. Es war eine Hyäne, so viel konnte Nando erkennen, und die flirrende Luft verwandelte sich um sie herum in borstiges schwarzes Fell. Schaudernd stellte er fest, dass die Augen der Hyäne mit groben Stichen

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