Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
durch seine Adern floss, »jemand, den du noch nie zuvor gesehen hast und der dir erzählt, dass du ihm folgen sollst an einen geheimen Ort – was würdest du tun?«
    Luca hatte sich aufs Bett gesetzt und streifte seine Socken von den Füßen. Jetzt starrte er Nando mit großen Augen an. »Meinst du einen Perversen?«
    Er fragte das so erschrocken, dass Nando lachen musste. Er ging zu seiner Sockenschublade und warf seinem Freund ein Paar Strümpfe zu. »Ich hatte heute seltsamen Besuch. Er sah aus wie ein Obdachloser, aber gleichzeitig auch nicht, und er wollte, dass ich mit ihm gehe – und ich habe ihn geschubst, dass er durch den ganzen Laden geflogen ist. Verstehst du?«
    Luca schüttelte den Kopf. »Nein«, entgegnete er trocken. »Überhaupt nicht. Es ist also ein Obdachloser zu dir ins Restaurant gekommen, wollte dich zwingen, mit ihm zu gehen, und du hast dich erfolgreich gewehrt. Ein bisschen unheimlich das Ganze, aber wenn ich mir die Gestalten ansehe, die teilweise bei dir essen, wundert es mich eigentlich nicht.«
    »Er war kein Obdachloser. Er war … « Nando stockte und wandte den Blick ab. Auf einmal wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Die ganze Geschichte kam ihm albern und lächerlich vor, und sie wurde es umso mehr, wenn er in Lucas abgeklärtes Gesicht schaute. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Ich … «
    In diesem Moment schrillte die Türklingel. Nando seufzte. »Geh ruhig schon in die Küche zu den anderen. Dann kannst du mir die leckere Suppe wegessen, die Mara gekocht hat. Du würdest mir damit einen großen Dienst erweisen.«
    Er grinste, als Luca eine Grimasse schnitt und sich in die Küche begab, und öffnete die Tür. Im ersten Moment konnte er in der Dunkelheit des Treppenhauses nichts erkennen, denn direkt vor der Tür stand niemand. Dann schob sich eine Gestalt aus den Schatten, eine kleine, rundliche Frau war es mit zerzausten grauen Haaren und einem riesigen Regenhut auf dem Kopf, der sie beinahe trocken gehalten hatte. Ihre weite Hose war mit Flicken übersät, und in der linken Hand hielt sie drei voll bepackte Plastiktüten. Aus wässrigen blauen Augen schaute sie zu Nando auf, die Wangen wie immer rot wie zwei Äpfel, und trat ein wenig näher an ihn heran.
    »Ellie«, begrüßte Nando sie freundlich und lächelte. »Wie schön, dass du an meinem Geburtstag vorbeikommst, damit habe ich gar nicht gerechnet. Wir sehen uns doch eigentlich immer am nächsten Nachmittag auf der Arbeit, zusammen mit den anderen, oder nicht?«
    Seit Jahren arbeitete er nun neben der Schule im Obolus, und eines Tages hatten seine Nachfeierabendgäste seinen Geburtstag herausgefunden und sich am kommenden Nachmittag vor dem Restaurant zusammengefunden, um ihm kleine Geschenke zu übergeben und ihm zu gratulieren. Mit der Zeit war dieser Besuch zur Tradition geworden, und umso mehr wunderte Nando sich nun, da er Ellie vor seiner Tür stehen sah.
    Sie nickte langsam, als müsste sie über etwas nachdenken. »Heute ist das anders«, erwiderte sie dann mit ihrer leisen, warmen Stimme, die Nando immer an Schokolade und Pralinen denken ließ oder an die Konditorei, in der Ellie einmal gearbeitet hatte, ehe sie ihre Arbeit verloren hatte und ins soziale Abseits geraten war. »Die Dinge, weißt du … Sie ändern sich. Alles ändert sich, die ganze Welt, und manchmal mehr, als einem lieb ist.«
    Nando zog die Brauen zusammen. Irgendetwas stimmte nicht, das war ihm klar, und als Ellie nervös über ihre Schulter schaute, als könnte sie im dunklen Treppenhaus etwas erkennen, überkam ihn Unruhe.
    »Komm rein«, forderte er Ellie auf. »Lass uns im Warmen reden, meine Tante hat gekocht … Gut, das ist kein Argument, eher im Gegenteil, aber … Komm rein, Ellie.«
    Er wusste, dass sie sein Angebot ablehnen würde. Noch nie hatte einer der Obdachlosen sein Zuhause betreten, obwohl er sie schon oft eingeladen hatte. Es schien ihm, als würden sie eine gewisse Furcht empfinden vor der Wärme, dem Licht und der Geborgenheit, die einst die ihren gewesen waren und die dennoch nichts weiter sein konnten als Illusionen in der rauen Wüste der Welt.
    Mit entschuldigendem Lächeln schüttelte Ellie den Kopf. »Das ist sehr freundlich«, erwiderte sie mit dem Ausdruck des Bedauerns in den Augen, den sie vermutlich damals in ihrem früheren Leben bei unzufriedenen Kunden ebenfalls im Blick getragen hatte. »Aber ich kann nicht. Ich bin gekommen, um dir unsere Geschenke zu geben, du wirst nicht

Weitere Kostenlose Bücher