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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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reglosem Gesicht am Ufer stand und ihm nachsah, dann bogen sie um die nächste Kurve und glitten in rasch zunehmender Fahrt den Fluss hinab. Die Häuser Bantoryns zogen an ihnen vorüber, vereinzelt begleiteten fluoreszierende Fische ihren Weg aus der Stadt hinaus, ehe sie in den Nebel der Ovo gerieten und schließlich vom Tunnel in der Felswand verschluckt wurden.
    Der Nebel zerriss nach kurzer Zeit, und sofort umgab sie tiefste Finsternis. Instinktiv hielt Nando sich an seinem Sitz fest, doch gleich darauf zog eine angenehme Kühle durch seine Augen. Die Dunkelheit lichtete sich, ihre Schleier wandelten sich von Schwarz zu Grau. Das Boot glitt hindurch, überwand mehrere Stromschnellen und fuhr an Seitenarmen des Flusses vorüber, um im Haupttunnel zu bleiben. Paolo steuerte das Boot mit ruhiger Hand durch das Gewässer und lenkte es erst nach einer Weile in einen breiteren Seitentunnel. Von nun an hörte Nando nicht länger die Stimmen der anderen Novizen, die sich weiter auf dem Hauptarm befanden, sondern nahm die Geräusche des Schattenreichs wahr, in das sie eintauchten.
    Von der Decke hoch über ihren Köpfen hingen nadelfeine Stalaktiten herab, und immer wieder hörte man aus einem weit entfernten Tunnel einen Wassertropfen auf die Oberfläche fallen, dessen Klang tausendfach gebrochen noch lange in den ungezählten Verästelungen des Steinreichs widerhallte. Sie durchquerten Tropfsteinhöhlen, auf deren Grund nur eine dünne Wasserschicht in blauem Licht erstrahlte, mussten in besonders niedrigen Gängen die Köpfe einziehen und bestaunten die schimmernden Steine, die aus sich selbst heraus leuchteten und bisweilen tief unten in den Abgründen mancher Kluft lagen und zu ihnen heraufglommen wie gesunkene Schätze. Immer wieder bemerkte Nando merkwürdige Tiere, Tintenfische mit grün leuchtenden Augen, Krabben, die über zwölf und mehr Scheren und Beine verfügten, und Schwärme von Fischen, die das Wasser in flirrende Farben hüllten. Für eine Weile schien es ihm, als wäre er in einer geheimen Unterwasserwelt gelandet, in der das gesprochene Wort keine Macht hatte, in der Licht Zerstörung und Tod bringen konnte und die nur in Stille und Finsternis zu dem hatte werden können, was sie war: ein verborgener, in sich geschlossener Kosmos voller Wunder und Gefahren.
    Erst als die Fische hinter ihrem Boot zurückblieben, die farbigen Gesteine an Wänden und Decke sich in ein mattes Schwarz verwandelten und es Nando selbst mit seinen verzauberten Augen schwerfiel, die einzelnen Schattierungen der Dunkelheit zu durchdringen, spürte er die Kälte, die wie zäher Nebel über die Wasseroberfläche trieb. Lautlos legte sie sich auf das Boot, überzog Holz und Kupfer mit einer dünnen Eisschicht und ließ ihn fröstelnd die Schultern anziehen.
    Sie glitten tiefer in die Erde hinunter, über Spiralen, die abwärts führten, oder kleine Wasserfälle, die sie mit ihrem Boot überwanden, und je weiter es hinabging, desto stärker wurde die Anspannung, die sich über die Gruppe legte. Die Wände waren zunehmend von klebrigen braunen Algen überwuchert, modrige Wasserlöcher lagen in zahlreichen Gängen, und das Boot ächzte bei jedem Sprung, den es darüber hinweg tat. Schwarz glimmende Bäume erhoben sich wie Mangroven mit eindrucksvollen Stelzwurzeln in den Höhlen, und immer wieder meinte Nando, ein tückisches Augenpaar oder das Gleiten großer schuppengepanzerter Reptilienkörper zwischen ihnen zu erkennen. Paolo fuhr schnell, als könnte er es nicht erwarten, noch weiter in die Dunkelheit vorzudringen, und schließlich gelangten sie in eine Höhle, in der das Wasser sich ausgebreitet hatte wie erkaltete Lava und ebenso reglos dalag. Nur die Wellen des Bootes wühlten seine Oberfläche auf, und als es leise plätschernd gegen die Wände schlug, hörte Nando ein Stöhnen durch das Gestein gehen, dröhnend und machtvoll, als wäre gerade ein Riese aus dem Schlaf erwacht und würde sich strecken. Sie legten an einem kiesbedeckten Ufer an, von dem ein finsterer, ungefluteter Tunnel abging. Knirschend schrammte das Boot über den Untergrund, das Geräusch schmerzte in den Ohren und ließ die darauf folgende Stille noch lähmender erscheinen.
    Für einen Moment blieben sie sitzen, wo sie waren. Nando musste sich zwingen, den Blick auf den Eingang des Tunnels zu richten. Die Schwärze darin war wie eine Mauer aus Obsidian.
    »Ich habe Geschichten gelesen«, sagte Ilja kaum hörbar. »In einem alten Buch, das mein Bruder

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