Nephilim
Stille senkte sich auf das Theater nieder. Viele Senatoren betrachteten Nando wie zum ersten Mal, ihre Blicke glitten forschend über sein Gesicht, als würden sie sich fragen, wo genau der Teufel in ihm sich eigentlich verbarg.
»Ist das so?« Salados erhob sich von seinem Stuhl und sah Antonio an, ehe er sich an alle wandte. »Versteht mich nicht falsch. Beinahe alles, was Antonio sagt, ist wahr. Ich weiß, wie leicht man im Zorn spricht, wenn man Freunde und Familie durch die Engel oder den einstigen Teufelssohn verloren hat, und ich fügte mich der Entscheidung des Senats, als er beschloss, Nando Baldini in unsere Reihen aufzunehmen. Doch schon damals wies ich auf die Gefahren hin, die dadurch über uns hereingebrochen sind: Die Engel jagen uns mit einem Aufgebot, wie es selten zuvor zur Anwendung kam, kaum einer von uns wagte es, die Stadt in den vergangenen Wochen zu verlassen, es gab zahlreiche Verletzte – und wir beklagen einen Toten. Silas, Offizier der Garde, der noch leben würde, wäre der Teufelssohn nicht in unsere Stadt gekommen.«
Nando fuhr zusammen, er sah Silas’ sterbendes Gesicht vor sich und hörte wie durch Watte Morpheus’ Stimme: »Besitzt du seit Neustem die Gabe der Voraussicht, Salados? Du beschmutzt Silas’ Andenken, indem du seinen Tod für deine Zwecke missbrauchst, ist dir das klar?« Er wandte den Blick. »Ist es euch klar?«
Angespanntes Murmeln brandete auf, doch Salados fuhr rasch fort, ohne auf Morpheus’ Worte einzugehen: »Ich stimmte dem Entschluss zu, Nando Baldini in die Stadt aufzunehmen, doch ich habe meine Zweifel niemals abgelegt – die Zweifel daran, ob es klug ist, einen Teufelssohn in unserer Stadt zu haben. Wir haben schon einmal erlebt, was ein Nephilim mit dieser Kraft anrichten kann – wir alle! Gestern erst haben wir gesehen, über welche Macht der Teufel selbst aus seiner Verbannung heraus gebietet, und er ließ uns teilhaben an dem, was kommen mag, wenn wir ihm seine Stärke nicht zurückgeben!« Er hielt kurz inne und fixierte Nando mit seinem Blick. »Ich hielt mich an meinen Schwur«, sagte er kalt. »Ich beobachtete den Teufelssohn, wie ich es in unserer Sitzung damals versprach. Und Antonio hat recht: Selbstverständlich kann ein Nephilim, ein Mitglied unserer Gemeinschaft und unseres Rechtssystems, nicht an den Feind verraten werden. Doch gehört Nando Baldini zu uns? Oder ist er nichts als der Teufelssohn, der unsere Gemeinschaft von Anfang an gefährdet hat?«
Antonios Gesicht versteinerte, und Nando nahm im selben Moment den listigen Funken wahr, der in Salados’ Augen auf und ab sprang. Der Senator griff sich an die Kehle. Ein heiseres Krächzen drang über seine Lippen, er wurde kreidebleich. »Ich habe die Stimme des Teufels in meinen Gedanken gehört«, fuhr er fort, während Schatten über sein Gesicht glitten wie zerrissene Tücher. »Nie zuvor spürte ich eine solche Macht, und ich sage euch: Wenn Nando Baldini bei uns bleibt, dann wird er uns alle vernichten, er wird uns töten, wie sein Vorgänger es einst versuchte. Und er gefährdet unsere Gemeinschaft nicht nur durch seine bloße Anwesenheit. Ich hörte von einem Kampf zwischen ihm und einigen Novizen – einem Kampf, bei dem es um Leben und Tod ging, glaubt man dem Bild der Zerstörung, das der Speisesaal anschließend bot. Entgegen meiner Empfehlung kam es nicht zu einer näheren Untersuchung des Falls, doch nun stehen die Dinge anders, daher werde ich ansprechen, was damals niemand sagen wollte: Du hast uns den Teufel selbst in die Stadt geholt, Antonio, ich sagte es dir von Anfang an!«
Da hob Antonio den Blick, ein Donnern zog durch den Grund des Theaters und ließ Salados schwanken, während der Engel ihn mit den Schatten in seinen Augen umfasste. Doch Salados ließ sich nicht zum Schweigen bringen.
»Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte Bantoryn zu Asche verbrannt«, brachte er hervor, und ein erschrockenes Raunen ging durch die Reihen. »Genau so, wie der letzte Teufelssohn es getan hat. Er ist kein Mitglied unserer Gemeinschaft! Er war es nie und würde es niemals werden. Er ist der Teufelssohn, und als solcher kann er nicht behandelt werden wie jeder andere Nephilim, zumal dann nicht, wenn uns die Freiheit in Aussicht steht – die Freiheit, die wir seit Jahrhunderten verdienen! Dieser Junge ist eine Gefahr, nur mit Glück sind wir ihr bisher entronnen, und umso dringlicher ersuche ich den Senat, heute die Entscheidung über seine Auslieferung zu fällen und ihn
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