Nephilim
Ich habe es satt, verfolgt zu werden und meine Kinder sterben zu sehen in einem Krieg, den sie nicht begonnen haben und dessen Sinn ich nicht verstehe! Aber ich verstehe den Zorn des Teufels! Ich weiß, was es bedeutet, in Schatten und Finsternis geworfen zu werden und mit dem Licht der Sonne nichts mehr zu verbinden als die Furcht vor Entdeckung und die Erinnerung an das, was einst mir gehörte! Ich sehe Tausende Nephilim in dieser Stadt, Tausende, die nach Freiheit gieren, und wenn es ein Opfer geben muss, so soll es der Teufelssohn sein!«
Ohrenbetäubender Beifall brandete von den Reihen und Türmen und schlug von dem Sternenplatz und aus den Gassen bis zu Nando herauf. Für einen Moment stand er wieder auf dem Feld aus Asche und spürte die Bilder der Nephilim, ihren Zorn, ihre Trauer, ihre Verzweiflung durch seine Adern rasen. Er wartete darauf, Furcht oder Wut zu empfinden bei den Klängen ihres Applauses, doch stattdessen fühlte er nur die Kälte einer Erkenntnis, die in diesen Augenblicken in ihm wuchs: Die Nephilim würden keine Freiheit finden, wenn sie den Kreislauf aus Hass und Tod nicht durchbrachen, sie würden sich mehr und mehr selbst verlieren und dabei vergessen, wer sie einmal waren. Reglos schaute Nando zu ihnen auf, zu jenen, die ihm den Tod wünschten, und empfand nichts für sie als Mitgefühl.
Da zog ein Windhauch durch die Reihen, so eisig und klar, dass die Senatoren zusammenfuhren. Instinktiv wandte Nando den Blick zu Antonio, der langsam aufstand. Eine Kälte strömte von ihm aus, die jedes Gespräch auf den Reihen des Theaters augenblicklich erstickte. »An diesem Ort wurde Bantoryn gegründet«, sagte er, und Nando hörte wie damals bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch dieses Ortes die Ehrfurcht in seiner Stimme. »Hier war es, dass die Ersten der Stadt ihren Eid ablegten, und noch heute tritt jeder Nephilim vor den Senat, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Auch Nando tat dies, um ein Teil der Schattenwelt zu werden – jener Teil, der er immer schon war. Ich erinnere mich gut an unser erstes Gespräch in diesem Rund. Nando sagte damals: Ich bin ein Tellerwäscher unter Engeln, Magiern und Rittern. Ich bin kein Teil der Schattenwelt. Viele von euch werden sich daran erinnern, wie sie selbst hier unten standen, wie sie den Eid sprachen und so ein vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft wurden. Doch nur wenige von euch haben eine Bürde zu tragen wie dieser junge Mann. Denn er ist nicht nur ein Nephilim. Er ist der Sohn des Teufels.« Er hielt inne und ließ den Blick durch die Ränge schweifen. »Ihr fürchtet ihn«, sagte er leise. »Und diese Furcht ist es, die euch so sprechen lässt. Sie war es, die euch dazu brachte, auf dem Markt der Zwölf dem Weg des Teufels zu folgen, denn nichts anderes habt ihr dort getan. Ihr seid zu Sklaven des Höllenfürsten geworden.« Ein unruhiges Raunen flammte auf, doch Antonio hob den Blick, und es verstummte sofort. Regungslos schauten die Senatoren ihn an, als würde das Schwarz seiner Augen sie mit Grabeskälte überziehen. »Nando trägt den Teufel in sich«, fuhr Antonio fort. »Er hört seine Stimme, wenn er die Augen schließt, um zu schlafen, der Fürst der Hölle spricht zu ihm, sobald er sein Bewusstsein verliert – und dennoch war Nando bis jetzt immer stärker als ihr, denn im Gegensatz zu euch ist er dieser Stimme nicht gefolgt. Er ist der Teufelssohn, und er lebt mit diesem Namen, mit diesem Schicksal, wie wenige von euch es könnten. Er tat es von dem ersten Tag an, da er in unsere Stadt kam. Er zweifelte an sich, doch er verzweifelte nie, er kämpfte gegen sich selbst, gegen die Anforderungen, die die Akademie an einen jungen Krieger in der Ausbildung stellt. Viele Herausforderungen stellten sich ihm in den Weg. Er meisterte sie alle. Niemals hat er einen von euch enttäuscht, niemals eines der Vorurteile bestätigt, die ihm von Beginn an mit Kälte und Feindschaft entgegenschlugen, und er gab euch nie Anlass zur Furcht.« Er holte tief Atem. »In diesem Rund leistete Nando seinen Eid. Wir alle haben ihn in unsere Mitte aufgenommen, und somit untersteht er den Gesetzen, die wir für diese Stadt beschlossen haben, und ihren Rechten. Und zu diesen Rechten gehört es, dass kein Mitglied der Gemeinschaft dem Feind übergeben wird – niemals. Fragt euch, ob ihr mit einem eurer Kinder dasselbe tun würdet, wie ihr es nun mit ihm vorhabt auf der Grundlage eines Namens, den er weder gesucht noch gewollt hat.«
Eine atemlose
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