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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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tragen müssen.«
    Nando spürte, wie ihn die Kälte angriff, die aus Noemis Augen das Theater flutete. Er dachte daran, dass sie ihn vor dem Galkry gerettet hatte, an ihren undurchsichtigen Blick im Schein des glühenden Messers, den Ausdruck in ihren Augen in der Siedlung der Varja – und er wusste auf einmal, dass nichts von alledem jetzt noch von Wert war. Wie eine Figur aus Eis stand Noemi inmitten des Theaters, und allein durch die Art, wie sie den Kopf neigte und bei Silas’ Namen leicht zitterte, öffneten sich die gerade noch verschlossenen Gesichter der Senatoren und ließen diese auf ihren Sitzen vorrutschen.
    »Silas ist tot«, fuhr sie fort. »Er starb für Nando Baldini, den Teufelssohn, der eine Macht in sich trägt, die er bislang weder begreift noch vollständig beherrscht. Schon einmal brachte diese Kraft unendliches Leid über unsere Stadt. Mein Vater ist in den Flammen des einstigen Teufelssohns verbrannt, und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es immer wieder Situationen gab, in denen auch Nando kurz davorstand, den falschen Weg zu gehen. Ohne jede Frage ist der Teufelssohn eine Gefahr für jeden von uns.«
    Nando senkte den Blick. Er spürte, dass Noemi ihn ansah, aber er wollte ihr nicht die Genugtuung gönnen, dass ihre Worte ihn verletzten – dass sie ihn härter trafen als alles, was die Senatoren zuvor gesagt hatten.
    »Er ist eine Gefahr für uns«, fuhr sie fort, und ihre Stimme klang ungewohnt sanft, »weil er unser Spiegel ist.«
    Überrascht sah Nando auf, doch Noemi hatte den Blick bereits abgewandt und ließ ihn hinaufgleiten zu den Senatoren, die reglos und wie gebannt zu ihr hinabschauten.
    »Seht euch an«, sagte sie leise. »Seht, mit welcher Furcht ihr euch zusammenfindet, ihr, die ihr alle einst Krieger wart und es noch immer seid. Nephilim wie mein Bruder sind für das Ideal dieser Stadt gestorben, und was tut ihr? Seht hin! Ihr tretet es mit Füßen.« Sie schüttelte den Kopf, Spott trat auf ihre Züge und verhärtete sie. »Da sitzt ihr nun und wollt von mir die Wahrheit hören«, sagte sie und schaute durch die Reihen der Senatoren, als spräche sie mit begriffsstutzigen Novizen. »Aber was ist die Wahrheit? Das, was ich soeben sagte, jedes Wort davon, ist wahr. Silas starb für den Teufelssohn. Aber ebenso entspricht es der Wahrheit, dass mein Bruder nicht nur Nando das Leben rettete. Er starb im Einsatz für siebenundzwanzig weitere Nephilim, deren Schutz er sein Leben widmete. Ebenso ist es wahr, dass der, den ihr den Teufelssohn nennt, immer wieder sein Leben riskierte für das Leben der Nephilim – jener Nephilim, die ihn beschimpften, ihn demütigten, ihn fürchteten, ausschlossen und peinigten. Ja, er stand oft kurz davor, den falschen Weg zu gehen. Aber ebenso wahr ist es, dass er ihn nie gegangen ist, nicht ein einziges Mal, selbst dann nicht, wenn es für viele von uns keinen anderen Ausweg mehr gegeben hätte. Er trug Silas’ Erbe weiter, im Gegensatz zu mir, seiner Schwester. Er nahm den eigenen Tod in Kauf und rettete jene, die ihn verachteten.« Noemi senkte den Blick, etwas wie Demut legte sich auf ihre Züge, als sie fortfuhr: »Er hätte mich töten können, damals im Speisesaal, und ich hätte es verdient gehabt. Ich trieb ihn an seine Grenzen, doch er überschritt sie nicht. Er trägt eine Kraft in sich, die ihn davon abhielt, und diese Kraft ist stärker als alles, was ihr an ihm fürchtet oder hasst. Sie ist der Grund, aus dem er der Stimme des Teufels, die in ihm tobt, bis heute widerstanden hat. Denn er ist mehr als nur sein Sohn, viel mehr.«
    Sie wandte den Blick und sah zu Salados hinüber, der bleich und zusammengesunken auf seinem Stuhl saß. »Ich stehe vor euch als Kind dieser Stadt«, sagte sie sanft, »als Verbündete von euch allen. Wenn ihr Nando ausliefert, als Teufelssohn oder nicht, werdet ihr niemals das zurückerlangen, worauf diese Stadt begründet wurde. Er mag den Teufel in sich tragen, doch fragt euch eines: Wie steht es mit euren eigenen Dämonen? Was flüstern sie euch zu, nachts, wenn niemand die Stille in euch übertönt? Ihr selbst habt erfahren, wie es sich anfühlt, die Stimme des Teufels in sich zu tragen, Salados, und Ihr seid fast daran zerbrochen. Wollt Ihr, will einer der hier Anwesenden wirklich sagen, dass er mehr wert ist als Nando? Mit welchem Maß wollt ihr das messen? Vergesst nicht, wer wir sind, Bewohner Bantoryns! Wir sind mehr als Verfolgte, mehr als Ermordete und Unterdrückte. Wir sind die Krieger

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