Nephilim
Umrisse eines beinahe menschlichen Körpers abzeichneten. Doch lange Klauen drückten sich gegen die Dunkelheit wie gegen ein Gefängnis, ein schuppiger Schweif schlug in Bhroroks Richtung, er verfehlte ihn nur fast. Und als die Gestalt das Wort ergriff, sog sie die Nebel in ihren Mund.
»Bastard von einem Dämon!«, rief Harkramar. »Was erlaubst du dir, meine Ruhe zu stören, du, dessen Name so jung ist, dass ein Mensch ihn fortwischen könnte!«
Bhrorok kam auf die Beine. Er spürte die Kälte seines Körpers, angenehm kühl lähmte sie seinen Zorn. »Niemand kennt meinen wahren Namen«, erwiderte er. »Im Gegensatz zu deinem. Ich werde niemals hilflos und ohne Körper über diesem Abgrund hängen und abgepflückt werden von einem Dämon aus der Welt der Lebenden. Niemals wird mir jemand außer meinem Herrn befehlen.«
Harkramar hob die Arme, Wellen aus Schatten stürzten auf Bhrorok zu und verschlangen ihn für einen Augenblick. Doch als sie wie das Wasser des Meeres zurückwichen, stand er noch immer da, reglos und unverändert. Er hob leicht den Kopf und schickte ein boshaftes Lächeln auf seine Lippen, das jeder Dämon Razkanthurs fühlen konnte, da war er sich sicher.
»Mir befehlen willst du?«, grollte Harkramar und lachte so schallend, dass Gesteinsbrocken von den Säulen absplitterten. »Mir, der Alvys bezwang und Hefriton, die Schwarze Nixe des Nils, mir, der seit Äonen die Schatten der Welt bereiste und die Luft der Hölle atmete, als das Pandämonium noch nicht mehr war als ein Samen im Geist seines Erbauers? Mir, Kind von einem Dämon, willst du befehlen?«
Bhrorok schaute reglos in das Gesicht hinter den Tüchern, starrte in die dunklen Augenhöhlen, in die die Schatten hineinglitten, als würden sie von unsichtbaren Klauen gezogen, und nickte langsam.
»Ja«, erwiderte er nur.
Im nächsten Moment zog er eine gläserne Phiole aus seiner Tasche. Er hörte noch, wie Harkramar einen Laut ausstieß, der wie ein Keuchen oder ein Ächzen klang. Dann verschlang er die Phiole im Ganzen, zerbrach das Glas mit seiner Zunge und trank das Blut der Throne, das er darin gesammelt hatte. Noch ehe Harkramar in den Abgrund hinabstürzen und sich in den Schatten verbergen konnte, riss Bhrorok die Arme über seinen Kopf und schrie. Doch es war nicht seine Stimme, die aus seiner Kehle drang. Es waren die letzten Atemzüge der Throne, ihre Schreie, ihre Gesänge, und sie brachen als heller Lichtschein aus seinem Mund, aus den Schnitten an seinen Armen und auf seiner Brust, und sie malten die verschlungenen Zeichen des Zaubers in die Finsternis Razkanthurs, sodass die Schatten anfingen zu knistern wie brennendes Papier.
Mit einer einzigen Handbewegung riss Bhrorok die Schwaden und Zeichen aus Licht zu sich heran und ließ sie auf Harkramar zustürmen, ehe sie sich zu gleißenden Schnüren verbanden. Harkramar wich zurück, doch schon legten sich Fesseln um seinen Leib, die Tücher um ihn herum verkohlten und zerstoben wie Gebilde aus Asche, und so erging es der gesamten Dunkelheit, die ihn umgab. Das Licht verbrannte die Finsternis, und sie fiel in sich zusammen, stürzte den Abgrund hinab und drohte Bhrorok von den Füßen zu reißen.
»Frran Turras!«, brüllte er, umfasste die Schnüre Harkramars und sprang vornüber in den Abgrund, die Hände zu Fäusten geballt. Krachend schlug er auf dem Höhlenboden vor dem Feuer auf. Er hörte seinen Wolf wimmern, eine unbeholfene Knochenhand griff nach seinem Arm.
»Herr … «
Doch ehe die Kreatur auch nur ein Wort mehr sagen konnte, schleuderte Bhrorok sie zurück an ihren Platz. »Sagte ich nicht, dass du hinter der Kreide warten sollst?«, grollte er und schaute in das schreckensstarre Gesicht des Wesens. Doch es sah nicht ihn an. Es fixierte das Feuer.
Langsam wandte Bhrorok sich um. Eine zusammengekrümmte Gestalt hockte inmitten der Flammen. Sie war nackt, Striemen der Fesseln aus Licht zogen sich als rote Brandnarben über den menschenähnlichen Leib. Ein langer Schweif lag wie der nackte Schwanz einer Ratte um die Kreatur herum, spitze Krallenhände hatten sich um die Knie gelegt. Langsam hob Harkramar den Kopf. Dicke, vernarbte Wulste zogen sich über seinen kahlen Schädel, er besaß keine Ohren, und am Hals war seine Haut ledrig wie uralte Schlangenhaut. Sein Gesicht war verbrannt, schmale Lippen bedeckten nur halb die schwarzen, spitzen Zähne, und dort, wo seine Augen hätten sein sollen, klafften zwei blutige Wunden in seinem Schädel. Es sah aus, als
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