Nephilim
flutete, und er erinnerte sich an seinen Schrei, als Olvryon zusammenbrach.
Nando fuhr herum, doch er sah niemanden. Eilig kniete er sich neben Olvryon, hielt die Hand über die Wunde, um den Grad der Verletzung abschätzen zu können, und umfasste den Dolch. Sofort spürte er das Gift des Ovo, das über die Waffe in seinen Körper drang, doch er ließ sie nicht los. Mit einem Ruck zog er sie aus Olvryons Fleisch, klirrend glitt sie zu Boden. Mit zitternder Stimme sprach Nando eine Formel und presste zwei Finger der linken Hand auf die Wunde. Sein Heilungszauber sprang als blaue Flamme aus seiner Hand, knisternd legte sie sich über Olvryons Kehle. Der Ovo röchelte, es war ein ersticktes, hilfloses Geräusch voller Schwäche, das ihm das Atmen schwer machte. Sein Herz zog sich zusammen, es begann zu rasen. Panisch griff er sich an die Brust, unnennbarer Schmerz durchzog ihn, ehe Olvryon seinen eigenen Herzschlag von dem Nandos trennte und dessen Puls sich beruhigen konnte. Doch Nando spürte keine Erleichterung. Er hatte den Herzschlag der Welt verloren. Die Kälte ergriff ihn, Olvryons Körper wurde zunehmend blasser. Er spürte seine Fingerspitzen nicht mehr, aber er strich dem Ovo über sein Fell, das sich rasch in Nebel verwandelte. Sein Bild verschwamm vor seinem Blick, seine Tränen fielen auf das Fell des Ovo, für einen Moment färbten sie es silbern. Da öffnete Olvryon die Augen. Die Finsternis in ihnen hatte jeden Stern verschlungen. Eine Träne sammelte sich im Augenwinkel des Ovo, Nando hörte noch einmal den Gesang der tausend Stimmen, und er spürte die Wärme, die auf einmal durch seine Finger flammte und jedes Gift neutralisierte. Olvryon tröstete ihn, er weinte um ihn. Knisternd gefror die Träne und wurde von Nando gefangen, ehe sie auf dem Boden aufschlagen konnte. Sie trug ein Bild in sich, während sie langsam etwas anwuchs und von glitzernden Kristallen umgeben wurde, ein Bild, das Nando im Flug zeigte – oder im Fall. Es erinnerte ihn an das Bild, das Antonio ihm damals vor seinem Weg in die Unterwelt gezeigt hatte: Das Bild des fallenden Teufels. Unsere Entscheidungen machen uns zu dem, was wir sind , hörte er Olvryons Stimme in seinen Gedanken. Nando hob den Blick, doch Olvryons Augen waren schneeweiß geworden. Vor ihm lag nur mehr der sich zunehmend in Nebel verwandelnde Körper des Ovo. Schon wurde der Nebel um Olvryon herum in rasender Geschwindigkeit dünner. Bald würde er ganz zusammenbrechen. Nando wusste, dass er aufstehen musste. Er musste zu den anderen Ovo zurückkehren, um im Schutz des Nebels unterzutauchen und vor den Engeln sicher zu sein, die an den Rändern lauerten. Doch er rührte sich nicht. Atemlos lauschte er auf die Geräusche hinter sich, auf das Atemholen und das Scharren auf dem Dach eines benachbarten Hauses.
»Was hast du getan?«
Die Stimme ließ Nando herumfahren, und Paolo landete sichtlich betroffen vor ihm in der Gasse. Mit stockendem Atem deutete er auf Olvryons zerbrechenden Leib. »Du hast ihn umgebracht, Teufelssohn, was ist nur in dich gefahren! Damit hast du dein Schicksal besiegelt! Bantoryns Tore werden dir verschlossen sein und davor … « Er hielt inne, die Maske der Betroffenheit zerbrach vor seinem Gesicht, und dahinter flammte eine Fratze aus Hass auf. »Davor wird der Scherge des Teufels dich finden!«
Nandos Zorn wurde übermächtig. Er wollte Paolo an der Kehle packen und alle Gesänge Olvryons, alle Bilder des Galkry in dessen winziges Gehirn schicken mit aller Macht, die er in sich trug. Doch er sah Paolo nur an, regungslos und mit kaltem Ausdruck auf den Zügen.
»Du bist ein Feigling und ein Lügner«, sagte er ruhig. »Du hasst mich, weil ich all das bin, was du niemals sein wirst. Du begehrst die Macht, die ich in mir trage, doch stärker noch neidest du mir die Kraft, der Versuchung bisher nicht erlegen zu sein. Mit jedem Tag, den ich in Bantoryn verbringe, bin ich ein Spiegel für dich, der dies niemals geschafft hätte. Du bist das Mittelmaß, Paolo, und schlimmer noch: Du verachtest dich selbst dafür. Doch statt den Blick in den Spiegel zu ertragen, willst du ihn vernichten. Aber du erreichst mich nicht mit deinem Zorn – du wirst mich niemals erreichen in deiner Kleinheit und Verdorbenheit.«
Da stieß Paolo einen Schrei aus, doch noch ehe er sich auf Nando stürzen konnte, traf ihn ein Flammenzauber an der Schulter. Erschrocken kam Nando auf die Beine und sah Noemi, Riccardo, Ilja und andere Novizen die Straße
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