Nephilim
Lichtern, der Nebel strömte in Bahnen aus weißen Schleiern an ihm vorbei, und als er den Schatten endlich vor sich auftauchen sah, diese pechschwarze, riesige Gestalt, da stockte Nando der Atem. Dicht vor der Kreatur endete sein Flug, er fühlte ihren Atem auf seinem Gesicht, starrte in ihre weißen Augen – und die Erkenntnis kam mit einem Namen, der donnernd in seinem Hirn explodierte.
Galkry.
Mit einem Brüllen sprang das Galkry aus den Schatten, die es umgaben. Nando sah noch die Borsten auf seinem Rücken, die Klauen, mit denen es nach ihm ausschlug, und die Narbe auf seiner Stirn. Dann schrie er so laut, dass es ihn augenblicklich in seinen Körper zurücktrug. Er riss die Augen auf, gleichzeitig kam er auf die Beine und schwankte, doch er zögerte nicht. Ein Galkry war in den Nebel gekommen, das Galkry, das Nando bestohlen hatte – und es würde keine Gnade zeigen, wenn es ihn zu fassen bekam.
Schon spürte er die Erschütterung des schweren Leibes auf den Straßen ganz in der Nähe, der Nebel verfärbte sich an mehreren Stellen schwarz. Die Finsternis schützte das Galkry, sie brachte Blindheit und Hilflosigkeit über jeden, der hineingeriet. Nando zögerte nicht länger. Eilig erhob er sich in die Luft. Er musste Olvryon fangen, um der Rache des Galkry zu entkommen. Für einen kurzen Moment streckte er seine Sinne nach Olvryon aus, denn noch war das Band, das er gerade im Geist zu ihm geknüpft hatte, nicht zerrissen. Der König entfernte sich vom Campo de’ Fiori, er hatte es eilig, er floh. Nando ballte die Hände zu Fäusten. Er würde Olvryon nicht entkommen lassen.
Er näherte sich dem Campo de’ Fiori und überflog die Gassen, bis er Olvryon auf einem kleinen Platz stehen sah. Der Ovo bewegte sich nicht, als er hinter ihm auf einem der Dächer landete. Grollend hörte Nando das Galkry näher kommen, er vernahm auch die leisen Stimmen anderer Novizen ganz in der Nähe, die dort gemeinsam versuchten, einen Ovo zu fangen. Er erkannte Riccardo unter ihnen und meinte, auch Noemis Stimme zu hören, doch er blendete sie rasch aus und konzentrierte sich auf Olvryon. Flüsternd sprach er den Zauber und schickte einen Funken über den Ovo hinweg. Mit einem Knall explodierte der Zauber zu einer Wand aus Flammen.
Olvryon fuhr herum, sofort galoppierte er in Nandos Richtung, doch wieder schickte dieser einen Flammenzauber in eine Gasse, um dem Ovo den Fluchtweg zu versperren. Lautlos sprang er hinab auf die Straße. Er würde Olvryon in eine Sackgasse treiben, und … Weiter kam er nicht. Denn in diesem Moment bäumte der Ovo sich auf, fixierte Nando mit der Schwärze seines Blicks und schrie. Noch nie zuvor hatte Nando einen Ton dieser Art gehört, einen Laut von solcher Tiefe und Zerrissenheit, dass er die Luft zum Erzittern brachte und ihm wie eine Klinge ins Fleisch fuhr. Der Schmerz peitschte durch seinen Körper, er fiel auf die Knie und konnte kaum atmen. Er sah Olvryon vor sich, der Ovo lähmte ihn, er verwandelte ihn in ein wehrloses Bündel aus Fleisch und Knochen, ehe er in Nebel und Schatten verschwand.
Nando keuchte, mit Gewalt sog er Luft in seine Lunge und stieß sie wieder aus. Der Bannzauber des Ovo presste seinen Brustkorb zusammen, doch er zwang sich, nicht auf den Schmerz zu achten. Er musste aufstehen, er musste Olvryon folgen, es gab keinen anderen Weg. Sein Puls raste in seinen Schläfen, als er sich mit beiden Händen auf dem Asphalt abstützte und sich in die Höhe stemmte. Die Finger seiner linken Hand hinterließen tiefe Kratzspuren im Boden, und noch während er sich aufrichtete, fielen die ersten Schatten auf ihn. Kalt waren sie, so kalt, dass Raureif über seine Finger zog, und der Boden bebte, als würde sich der Straßenbelag heben und senken. Das Galkry hatte seinen Lauf verlangsamt, doch die Schatten eilten ihm voraus. Geistergleich krochen sie die Gasse hinauf, strichen über die Fassaden der Häuser und hüllten jede Straßenlaterne, jedes Auto und jeden Pflasterstein in undurchdringliche Finsternis. Nando spürte sie auf seiner Haut, sie waren wie tausend Ameisen, die über seinen Körper liefen, und sie legten sich als schwarze Tücher über seine Augen. Er drängte die Panik angesichts der plötzlichen Blindheit zurück und verschloss sich vor ihnen, doch als er das Schnauben des Galkry am Ende der Gasse hörte, glitt ein Schauer über seinen Rücken.
Steh auf , sagte er sich in Gedanken und wiederholte die Worte wie eine Losung, die ihn auf die Beine zwang: Steh
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