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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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seine Hand ins Wasser, doch das Feuer spielte mit seinen Fingern, als wäre es noch immer von Luft umgeben.
    »Du musst dich beruhigen!«
    Antonio trat neben ihn, eine Hand in die Hüfte gestemmt, sodass Nando den kostbaren Säbel sehen konnte, der an einem Lederhalfter befestigt und bislang vom Mantel verborgen worden war.
    Nando riss seine flammende Hand aus dem Brunnen und deutete damit auf Antonio. »Du bist kein Obdachloser«, rief er aufgebracht. Es hatte eine Frage werden sollen, doch die Tatsache war so offensichtlich, dass eine Antwort eigentlich überflüssig war. »Aber was immer du sein willst – dumm bist du nicht, oder doch? Falls es dir entgangen ist, brennt meine Hand, alles klar? Wie soll ich mich beruhigen, wenn meine Hand in Flammen steht?«
    Antonio hob beinahe gelangweilt die Brauen. »Du warst wütend. Da ist das ganz natürlich.«
    Nando rang nach Atem. »Ganz natürlich?«, rief er und musste sich zwingen, leiser zu sprechen, um nicht die Bewohner der umstehenden Häuser an die Fenster zu rufen. »Ich weiß nicht, wie das in deiner Welt ist oder an diesem seltsamen Ort, von dem du kommst. Aber hier ist es alles andere als normal, dass man sich plötzlich selbst in Brand setzt, ohne sich zu verbrennen, und es nicht fertigkriegt, die Flammen zu löschen!«
    »Feuer hat seinen eigenen Willen«, erwiderte Antonio gelassen. »Es lässt nicht gern über sich bestimmen. Das nächste Mal solltest du mit ihm sprechen.«
    Nando starrte ihn an. Mit jeder Reaktion hatte er gerechnet, aber nicht mit dieser. »Das nächste Mal? Ich … « Er folgte Antonios Fingerzeig und stellte zu seiner Überraschung fest, dass die Flammen auf seiner Hand kleiner wurden und schließlich erloschen.
    Aufatmend ließ er sich an den Rand des Brunnens sinken und fuhr sich über die Augen. Antonio schaute auf ihn herab, sein Gesicht lag halb im Schatten verborgen, aber Nando fühlte den durchdringenden Blick auf seiner Haut.
    »Wer bist du?«, fragte er und zog die Brauen zusammen. »Wer bist du wirklich?«
    Antonio schwieg für einen Moment. »Du musst lernen, die richtigen Fragen zu stellen«, sagte er dann. »Das, was dich viel mehr interessieren sollte, ist die Antwort auf die Frage: Wer bist du selbst?«
    Mit langsamer Bewegung griff er in seinen Mantel und zog Enzos Geigenkasten daraus hervor. Vor lauter Aufregung hatte Nando ihn im Treppenhaus liegen lassen, und er starrte darauf wie auf einen lang vermissten und soeben wiedergefundenen Gegenstand. Antonio hob den Kopf, und zum ersten Mal erkannte Nando etwas Sanftes in seinen schwarzgoldenen Augen, eine haltlose Verzweiflung und Traurigkeit, als er langsam über Enzos Geigenkasten strich.
    »Wir waren Freunde«, sagte Antonio leise. »Er war einer meiner engsten Vertrauten, ehe ich ihn an diese Welt verlor. Es verging eine lange Zeit, in der wir uns nicht mehr begegneten, und doch war er mir stets nah, denn uns einte dieselbe Sehnsucht und derselbe Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit. Er rief mich in der Stunde seines Todes, ich kam zu spät, um ihm noch helfen zu können. Ich weiß, dass du glaubst, dass er ein Obdachloser war namens Enzo Astori, der ein bewundernswertes Talent für das Geigenspiel hatte. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, jene Wahrheit, die er sich für die Welt der Menschen ausgedacht hatte. Sein wahrer Name war Yrphramar Bharensis Karphrenton, und er war ein Engel – so wie ich.«
    Nando spürte die Regentropfen an seinem Gesicht hinablaufen, ein eisiger Schauer glitt über seinen Körper, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Fassungslos starrte er Antonio an und stieß ein heiseres Lachen aus.
    »Willst du mich für dumm verkaufen?«, fragte er, aber Antonio fixierte ihn mit solchem Ernst, dass es ihm nicht gelang, seine Stimme spöttisch klingen zu lassen. »Du willst mir erzählen, dass Enzo ein Engel war? Ein Engel? Einer von denen, die man in Kirchen findet, diese fetten, nackten Putten?«
    Er lachte noch einmal, doch Antonio betrachtete ihn ungerührt. »Die Vorstellungen der Menschen von unseresgleichen haben wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Sie treffen die Wahrheit nicht und sind meistens von unserer Lebenswelt so weit entfernt wie die Kirche Roms – oder noch weiter.«
    Nando verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Herz raste hinter seinen Rippen, krampfhaft bemühte er sich, ruhiger zu atmen. »Das ist verrückt«, brachte er hervor. Er sprach mehr zu sich selbst als zu Antonio und kämpfte mit aller Kraft die aufkeimende

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