Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
mir.« Seine Stimme klang, als müsste er sich über alle Maßen anstrengen, um ruhig zu bleiben. »Ich weiß, dass du mir kein Wort glaubst von dem, was ich sage. So geht es den meisten deiner Art. Ich verstehe auch, dass du Angst hast, aber du kannst nicht hierbleiben, dir droht Gefahr, Gefahr für dein Leben, Nando. Wir müssen verschwinden. Sofort!«
    Antonio streckte die Hand nach ihm aus, Nando meinte, sie an seinem Arm zu spüren, die Schatten des Wirbels bäumten sich in undurchdringlicher Finsternis auf, bereit, ihn zu verschlingen. Er stolperte, seine Faust wurde so heiß, dass es ihm wehtat.
    »Nein!«, schrie er außer sich, schlug nach Antonio – und sah fassungslos zu, wie ein gewaltiger Feuerball aus seinen Fingern schoss, Antonio an der Schulter traf und ihn mit einem Krachen in den flackernden Wirbel schleuderte. Sofort schloss sich dieser wie ein gefräßiges Maul und ließ nichts zurück als vereinzelte Rauchschwaden, die geisterhaft über die Straße glitten und in der Nacht verschwanden.
    Atemlos taumelte Nando rückwärts, ohne die Stelle aus den Augen zu lassen, an der sich gerade noch der Riss befunden hatte. Dann warf er sich herum und rannte los. Die Straße flog unter ihm dahin, sein Herz raste in seiner Brust, doch er fühlte nichts als das Brennen in seiner Hand und sah vor seinem inneren Auge den Feuerball aus seiner Faust schießen. Keuchend drückte er sich in einen Hauseingang und presste die Hände gegen die Schläfen. Er musste sich beruhigen. Irgendetwas ging hier vor, etwas, das ganz und gar unfassbar war für ihn, und er würde diesen Dingen nicht auf den Grund gehen können, solange in seinem Hirn nichts mehr war als Verwirrung und Furcht.
    Die Kälte der Hauswand verlangsamte seinen Atem und ließ ihn ruhiger werden. Es musste eine Erklärung für all das geben. Vielleicht hatte er mit seiner Vermutung, dass Antonio ein Schauspieler war, gar nicht so falschgelegen. Vielleicht war er auch ein Zauberer, für den Effekte wie Feuerbälle und optische Täuschungen ein Leichtes waren. Im Fernsehen hatte Nando oft genug gesehen, wie Magier scheinbar durch Mauern liefen und sich in mehrere Teile zersägen ließen, warum sollten Tricks dieser Art ohne Kameras nicht auch funktionieren? Er holte tief Luft. Diese Gedanken waren trügerisch, das wusste er, denn sie begründeten nicht die Schmerzen in seinen Fingern und die Erschöpfung, die sich seit dem merkwürdigen Feuerball in ihm ausbreitete. Aber auch dafür würde er eine Erklärung finden, wenn er sich erst vollständig beruhigt hatte.
    Etwas kitzelte ihn an der Hand. Es war eine Heuschrecke, ungewöhnlich groß und regungslos hockte sie auf seinen Fingern. Erschrocken schüttelte er die Hand. Er hätte sich nicht in einen heruntergekommenen Hauseingang stellen sollen, in dem es vor Ungeziefer nur so wimmelte. Kaum hatte er das gedacht, hörte er ein leises, knackendes Geräusch und fühlte, wie ihm etwas auf die Schulter fiel. Es war schwarz wie die Heuschrecke zuvor, hatte aber bedeutend mehr Beine und griff mit langen Fühlern nach seiner Wange.
    Mit einem Schrei schleuderte Nando das Tier von seiner Schulter, sprang hinaus auf die Straße und sah zu seinem Entsetzen, woher das knackende Geräusch gekommen war: Aus den Mauerritzen quollen schwarze Käfer, Asseln und Kakerlaken, als hätte sie jemand aus ihren Verstecken getrieben. Rasselnd schoben sie ihre Körper über das Mauerwerk, Nando hörte sie wie durch ein Stethoskop. Sie krochen auf ihn zu, eine klebrige schwarze Masse aus zahllosen Leibern. Erschrocken wich er vor ihnen zurück.
    Später hätte er nicht mehr sagen können, warum er den Blick wandte und die Straße hinaufschaute. Vielleicht war es der Wind gewesen, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte, dieser kriechende, eiskalte Wind, der ihm wie eine Totenhand das Haar aus der Stirn strich, oder das Wispern unzähliger Insektenflügel, gepaart mit dem Knistern, das entstand, wenn Chitinpanzer sich aneinander rieben. Er wusste nur noch, dass er den Kopf hob, und dort, am Ende der Straße, nur schwach erhellt vom flackernden Licht einer Straßenlaterne, stand ein Fremder.
    Im ersten Augenblick erschien er wie ein Schatten, doch dann bemerkte Nando die schwarzen Leiber, die um seinen Körper herumflogen, und er erkannte ein kalkweißes Gesicht mit Augen, die so tief in ihren Höhlen lagen, als wäre da nichts als Finsternis. Für einen Moment starrte der Fremde zu ihm herüber. Dann breitete er die Arme zu beiden

Weitere Kostenlose Bücher