Nephilim
Seiten seines Körpers aus, öffnete den Mund – und ließ sämtliche Insekten, die als schwarzer Schwarm um ihn herum pulsierten, in sein Innerstes fliegen. Nando sah mit Entsetzen, wie die Insekten dem Fremden die Lippen zerrissen, er wollte fliehen, doch er stand da wie gelähmt. Eine Stimme in ihm schrie ihm zu, dass er davonlaufen müsse, doch er hörte sie kaum. Das darf nicht wahr sein , dachte er und fragte sich gleich darauf, ob tatsächlich er es war, der das dachte. Denn das, was er dort sah am Ende der Straße – das war mehr als real, und es schien sich nicht im Geringsten darum zu kümmern, ob es wahr sein durfte oder nicht.
Der Fremde hatte sämtliche Insekten in sich aufgenommen. Nun schaute er erneut zu Nando herüber, die Arme noch immer ausgestreckt, als wollte er ihn umarmen. Er neigte leicht den Kopf, und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
Es war dieses Lächeln, das Nando wie ein Faustschlag ins Gesicht flog und ihn dazu brachte, auf der Stelle die Flucht anzutreten. Er fuhr herum und rannte die Straße hinab, so schnell er konnte. Antonio hatte die Wahrheit gesagt, und für einen Moment wusste Nando nicht, was schlimmer war: diese Tatsache oder das Wesen, das ihn verfolgte.
Er warf einen Blick über die Schulter und sah zu seinem Schrecken, wie der Fremde sich in die Luft erhob und ihm in mächtigen Sprüngen nacheilte. Er raste über die Fassaden der Häuser und ließ seinen Mantel hinter sich herflattern wie eine todbringende Krähenschar. Abrupt schlug Nando einen Haken und rannte eine schmale Gasse hinauf, doch der Fremde kam immer näher. Krachend sprang er nun über die Dächer, Nando hörte einen gurgelnden Laut, der wie ein Lachen klang. Er schaute noch einmal zurück, doch der Fremde war verschwunden. Atemlos wandte Nando den Blick – und fand sich in einer Sackgasse wieder.
Die Panik kam wie ein elektrischer Schlag. Nando fühlte die Schritte des Fremden, die den Boden zum Erzittern brachten. Sie kamen näher, immer näher, während Nando vor ihnen zurückwich, bis er gegen die regennasse Hauswand stieß. Im selben Augenblick erloschen die Laternen in der Gasse. Nando stand in der Dunkelheit, er begann zu zittern, als die Schritte plötzlich innehielten. Und dort, nur wenige Armlängen von ihm entfernt, schob sich der Fremde aus den Schatten.
Auf den ersten Blick schien er ein Mensch zu sein, doch dieser Eindruck war so falsch, dass er umgehend von der entsetzlichen Erkenntnis verschlungen wurde, die auf ihn folgte. Dieses Wesen war kein Mensch. Es war überhaupt nichts Lebendiges, und als sich das Schwarz seiner Augen zu einem nadelfeinen Punkt zusammenzog, war es, als drückte eine steinerne Totenhand Nando die Luft aus der Lunge. Der Fremde öffnete den Mund, zäher Nebel kroch über seine Lippen und legte sich mit lähmender Kälte um Nandos Kehle. Spitze Fühler bewegten sich unter der kalkweißen Haut, und während der Fremde langsam näher trat, hörte Nando das Knistern unzähliger Insektenleiber.
Dicht vor ihm blieb der Fremde stehen. Nando schaute in die Finsternis seiner Augen, er bekam kaum noch Luft. Mit einer schnellen Bewegung packte der Fremde ihn an der Kehle und riss ihn zu sich heran. Nando spürte, wie sich etwas von innen gegen die Haut des Fremden drückte, etwas Gieriges, das Hunger hatte.
»Ich bin Bhrorok«, sagte der Fremde grollend. »Ich bin dein Feind und dein Tod. Und ich bin gekommen, um dir zu nehmen, was meinem Meister gehört.«
Nando konnte nichts erwidern, selbst wenn er gewollt hätte. Bhrorok lächelte auf seine grausame, gleichgültige Art, und dann, mit einem leisen Knacken wie dem Bersten einer dicken Eisschicht, zog sich die Schwärze vollständig aus seinen Augen zurück.
Nando schrie auf, denn er fühlte, wie die Dunkelheit ihn mit sich riss, hinein in das tödliche Nichts von Bhroroks Augen. Eiskalte Nebel strichen über seine Haut, sie glitten seinen Rachen hinab und gruben sich tief in sein Fleisch. Er hörte das Rasseln von Insektenkörpern und mitten darin einen verzerrten Laut, der ihm seltsam bekannt vorkam. Doch ehe er wusste, was es war, stieß Bhrorok einen Laut der Wut oder des Schmerzes aus und intensivierte die Kälte, die durch die Glieder seines Opfers raste. Nando fühlte, dass er ohnmächtig wurde, doch die Finsternis, in die er geriet, war keine Erlösung. Klebrig und erstickend drängte sie sich um ihn, und während er verzweifelt nach Atem rang, sah er eine Gestalt am Rand seines Bewusstseins, eine
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