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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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auch, die Schreie der Sterbenden und die der Trauernden. Doch er zwang sich, an Noemi zu denken – und an all die anderen, die in dieser Stunde in den Klauen der Dämonen lagen und der Hilfe derer bedurften, die schweigend und niedergeschlagen beieinandersaßen, als wären sie es gewesen, die im Mohnfeld Bantoryns ihr Leben verloren hatten.
    Nando fixierte Drengur mit seinem Blick. Unruhig sehnte er den Moment herbei, da der Senator die Versammlung eröffnen würde, von der Riccardo gesprochen hatte, und als der Dämon sich schließlich erhob und an den Rand des Podestes trat, spürte Nando seinen Herzschlag in der Kehle. Er rechnete mit einem tadelnden Blick von Avartos, doch der Engel schaute regungslos zu Drengur hinauf, als würde er dessen Dämonenblut wie Feuer auf seiner Haut spüren.
    »Bewohner Bantoryns«, rief Drengur und ließ seine Stimme auf den Schwingen eines Sturmzaubers durch die Höhle branden. »Das, was wir seit Jahrhunderten fürchteten, das, wovor wir uns verwahrten und das wir dennoch nicht verhindern konnten, ist eingetreten. Bantoryn, die Stadt jenseits des Lichts, ist gefallen.«
    Er hielt kurz inne. Seine Worte drangen wie Messerstiche in Nandos Bewusstsein, und dieser musste die metallenen Kuppen seiner linken Hand in sein Fleisch bohren, um den Schmerz in sich klein zu halten.
    »Die Engel kamen über uns«, fuhr Drengur fort. »Und sie haben uns alles genommen, was einst das unsere war. Sie stürzten unsere Stadt in die Dunkelheit, sie raubten vielen von uns das Leben, und sie nahmen uns unsere Heimat. Unzählige von uns sind gefallen, viele weitere kämpfen in diesen Stunden ums nackte Überleben. Viele andere haben Wunden an Leib und Seele davongetragen, die auf den ersten Blick zu heilen scheinen, die sie aber niemals ganz wieder abstreifen werden. Die vergangene Nacht wird als Schicksalsnacht in die Geschichte unseres Volkes eingehen, das steht außer Zweifel. Doch nun gilt es, die Zukunft ins Auge zu fassen. Hier, in dieser Höhle, können wir nicht bleiben. Zwar wird sie von den Engeln wenig frequentiert, und die Zauber, die wir vor ihren Eingang legten, werden uns zunächst schützen. Aber dauerhaft werden wir hier nicht sicher sein.« Schreckenslaute drangen über die Reihen, doch Drengur ließ die Unruhe nicht die Oberhand gewinnen. »Es wird Zeit brauchen, um ein neues Bantoryn zu errichten. Noch ist unsicher, ob wir überhaupt jemals wieder eine solche Stadt unsere Heimat nennen werden. Doch bis es so weit ist, werden wir nach Katnan ziehen – in die Stadt der Zwischenweltler.«
    Sofort brandete ein Raunen auf, Nando hörte Missfallen wie Zustimmung in den Stimmen der Zuhörer. Er hatte viel von Katnan gehört, jener Stadt, die Menschen beherbergte, Obdachlose, Bettler, Vagabunden und andere Wesen, die sich zu keinem Volk und keiner Gruppe zählten. Es sollte eine Stadt des Zwielichts sein, heruntergekommen, schmutzig, ein Moloch, in den sich nicht einmal die Engel begaben, wenn es sich vermeiden ließ. Dennoch würde sie der ideale Schutzraum sein, sie, in deren Mauern viele andere Heimatlose so etwas wie ein Zuhause gefunden hatten.
    »In mehreren Trupps werden wir Katnan erreichen«, fuhr Drengur fort, als sich das Raunen in überwiegend zustimmendes Gemurmel gewandelt hatte. »Noch heute Nacht werden wir die Listen für die einzelnen Gruppen zusammenstellen – und morgen werden wir mit der ersten Einheit nach Katnan ziehen.«
    Verhaltener Beifall erklang, der Nando die Brauen zusammenziehen ließ. »Was soll das bedeuten?«, flüsterte er Riccardo zu. »Wir können nicht einfach nach Katnan aufbrechen, Noemi und die anderen befinden sich noch in der Hand der Dämonen, sie … «
    Er beendete seinen Satz nicht, denn in diesem Moment wandte Riccardo den Blick und sah ihn an. Nichts als Finsternis lag mehr in seinen Augen, und Nando begriff, dass es das war, was Riccardo ihm hatte sagen wollen: Die Bewohner Bantoryns würden den Gefangenen nicht helfen. Fassungslos riss Nando seinen Blick los und starrte Drengur an, und nun erkannte er auch die Anspannung hinter dessen Stirn, den Zorn, der in den Schläfen des Dämons pulste und nur mit Mühe zurückgehalten werden konnte.
    »Der Senat hat festgestellt«, begann Drengur, und Nando konnte hören, dass er die Worte über seine Lippen zwingen musste, »dass die Gefangenen, die sich zu dieser Stunde in der Gewalt der Dämonen befinden, für uns nicht mehr zu retten sind. Wir haben weder die Stärke, noch verfügen wir über

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