Nephilim
dass seine Worte die Furcht in ihm verringert hatten. »Du willst ihn mitnehmen?«, fragte er leise, und obwohl er mit Nando sprach, wandte er den Blick nicht von dem Engel ab. »Das wird einigen gar nicht gefallen.«
Nando holte erleichtert Atem. »Dann haben sie sich also in der Höhle versammelt?«
Riccardo nickte und wollte gerade etwas erwidern, als Avartos die Hände hob.
»Keine Sorge«, sagte er mit spöttischem Lächeln. »Ich habe nicht vor, die Nephilim in Panik zu versetzen. Vermutlich wäre es in der Tat zu viel verlangt, meinen Anblick in ihren Reihen ohne Weiteres hinzunehmen. Ich werde euch begleiten, doch vergesst eines nicht: Es gibt kein anderes Geschöpf auf dieser Welt, das sich besser auf Tarnung versteht als ein Engel.« Mit diesen Worten zog er sich die Kapuze so tief ins Gesicht, dass seine Züge in der Dunkelheit versanken. Sein Umhang verschmolz noch stärker mit der Dämmerung ringsherum und verwandelte ihn beinahe selbst in einen Schatten. Nando nickte langsam und bemerkte, wie ein Hauch von Faszination über Riccardos Gesicht flammte, den dieser jedoch umgehend hinter einem zornigen Ausdruck verbarg.
»Gut«, sagte Riccardo und starrte einen Moment lang in die Finsternis von Avartos’ Kapuze. »Aber ich behalte dich im Auge.«
Der Engel lachte leise. »Nichts anderes habe ich erwartet von einem Nephilim, dessen Speerwurf mehr Lärm verursacht als ein Kampfflugzeug der Menschen.«
Riccardo wollte etwas erwidern, doch Nando legte ihm die Hand auf den Arm. Sie hatten Wichtigeres zu tun, als sich in den Gängen der Schatten herumzustreiten. »Haben es viele in die Höhle geschafft?«, fragte er deshalb und zog Riccardos Aufmerksamkeit auf sich.
»Die meisten schon«, erwiderte dieser, während sie die Gasse hinaufgingen. »Doch viele sind verwundet, manche schwer, und Morpheus und die Heiler haben alle Hände voll zu tun, sich um sie zu kümmern. Es gibt Tote, doch wir können sie nicht beisetzen, solange wir uns verstecken müssen, und … « Er hielt kurz inne. »Die Senatoren haben eine Versammlung anberaumt, auf der alles Weitere besprochen werden soll, aber … Unsere Heimat wurde zerschlagen. Jetzt haben wir nichts mehr.«
Nando senkte den Blick. Schweigend gingen sie nebeneinanderher, doch als sie den Eingang zur Roten Höhle erreichten, spürte er sein Herz schneller in seiner Brust schlagen. Er sah zu, wie Riccardo sich daranmachte, Tarn- und Schallzauber vor dem Eingang zu durchdringen, und hielt ihn zurück.
»Geben sie mir die Schuld?«, fragte er und sah erst das Unverständnis und dann das Erstaunen, das über Riccardos Gesicht flammte. »Ich bin dem Teufel verfallen«, fuhr er fort, ehe dieser etwas erwidern konnte. »Genau wie einst Aldros. Ich habe Bhrorok in die Stadt geholt und den Dämonen den Einzug nach Bantoryn ermöglicht, und … «
Da stieß Riccardo die Luft aus. »Du hast die Engel zurückgeschlagen«, erwiderte er eindringlich und warf Avartos einen Blick zu. »Diese verfluchten Sklaven des Lichts, die uns vernichtet hätten, wenn du nicht gewesen wärest. Du magst dem Teufel gefolgt sein, aber nur, um uns zu retten. Wir können alle froh sein, dass wir nicht von der Hand eines Engels niedergestreckt wurden!«
»Ohne mich wären die Engel niemals in die Stadt gelangt«, sagte Nando kaum hörbar. »Paolo hat mich gehasst, er … «
»Paolo war verblendet und zerfressen von seinem Neid und seiner Gier«, erwiderte Riccardo kühl. »Er war es, der Bantoryn verraten hat – er ganz allein! Du bist nicht verantwortlich für unser aller Schicksal.«
Nando senkte den Blick. »Es hätte nicht viel gefehlt, und der Teufel wäre befreit worden. Wäre Antonio nicht gekommen … «
»Aber er ist gekommen«, unterbrach Riccardo ihn, und seine Stimme klang plötzlich hart, fast abweisend. Erstaunt sah Nando seinen Freund an, Zorn stand in dessen Augen. »Willst du dich aufschwingen und über Antonio urteilen, Antonio, den ersten Engel und unser aller Mentor? Wenn es stimmt, was man sich erzählt, so war er es, durch dessen Schuld Bhrorok an den Schlüssel zu den Höllenpforten gelangt ist, denn er entschied sich dafür, dich zu retten.« Er hielt kurz inne, ein kaum merkliches Lächeln glitt über sein Gesicht. »Und ich taste diese Entscheidung nicht an.«
Nando spürte die Wärme, die von Riccardos Worten ausging, und er erwiderte das Lächeln, auch wenn noch immer die Kälte in ihm glomm, die sich seit dem Fall Bantoryns in ihm festgesetzt hatte.
»Bantoryn
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