Nephilim
seinen Blick durch die Menge schweifen. »Er, ein kalter, gleichgültiger Engel, scheint mehr Hoffnung in sich zu tragen als ihr alle zusammen, denn er will mich nach Bantoryn begleiten, um die Gefangenen zu befreien – mich, den er einst jagte! Aber wie ich sehe, habt ihr euren Glauben verloren, und mehr als das! Was ist mit euren Idealen, mit den Säulen, die Bantoryn einst begründeten?«
»Die Engel haben unsere Stadt zerstört!«, rief eine junge Frau, und mehrere Zuhörer stimmten ihr zu, doch Nando streckte die linke Hand vor und ballte sie zur Faust.
»Dann errichten wir sie neu!«, rief er und ließ seinen Zorn jedes seiner Worte wie Donner über die Köpfe treiben. »Oder haben sie auch uns zerstört? Ich weigere mich, das zu glauben! Unter euch sitzen die besten Krieger der Schatten, die Bantoryn je hervorgebracht hat! Ich bin nur ein Tellerwäscher aus der Oberwelt! Und dennoch werde ich morgen Nacht nach Bantoryn ziehen und die Gefangenen befreien!«
»Das ist es, worauf Bhrorok wartet«, rief ihm ein älterer Nephilim zu. »Er will dich in eine Falle locken, um dich zu vernichten! Vermutlich sind die Gefangenen schon längst hingerichtet worden!«
»Die Dämonen warten auf mich, das ist mir bewusst«, erwiderte Nando regungslos. »Aber ich werde keine Toten beklagen, solange die Hoffnung besteht, dass die Gefangenen noch leben!«
Der Nephilim stieß die Luft aus. »Und was willst du tun? Ganz allein gegen Bhrorok antreten, du, der noch nicht einmal seine Ausbildung beendet hat?«
Nando hielt seinem Blick stand. »Nein«, erwiderte er. »Nicht allein – sondern mit eurer Hilfe! Du hast recht, was die Falle betrifft. Ich fürchte mich davor, ich schäme mich nicht, das zuzugeben – aber dennoch werde ich es tun, genau so, wie Antonio es mich gelehrt hat!«
Da sah der alte Nephilim ihn an, etwas wie Schmerz flammte durch seinen Blick. »Antonio ist tot«, sagte er kaum hörbar, und doch schien es Nando, als würden die Worte ihm ins Gesicht schlagen.
»Nein«, erwiderte er, aber in diesem Moment brandete der Schmerz in ihm auf, er fühlte wieder Antonios Hand in der seinen und sah, wie der Engel lautlos von ihm Abschied nahm. Gerade wollte er Atem holen, wollte die Stille durchbrechen, die sich aus seinem Inneren gedrängt hatte und ihn in seine eigene Finsternis zog, doch da drang ein Geräusch durch die Halle, ein metallenes Geräusch von Schwingenschlägen.
Erstaunt wandten die Anwesenden die Köpfe, und Nando sah, wie sich zwei von Morpheus’ Engeln auf sie zubewegten. In ihrer Mitte hielten sie einen Nephilim, doch erst, als sie nahe bei dem Podest landeten, erkannte Nando Salados zwischen ihnen.
Der Senator löste sich von ihren Griffen, zahlreiche Verbände bedeckten seinen Körper, und sein Gesicht war so bleich, dass es schien, als würde ein Toter durch die Reihen zum Podest schreiten. Doch Salados war nicht tot. In seinem Blick flammte der alte Zorn und dieselbe ungebrochene Sturheit, die Nando bereits bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen waren.
Mehrere Nephilim wollten Salados helfen, als er hinauf zum Podest schritt, doch er wehrte jede ihrer Bemühungen ab. Die metallenen Engel standen am Ende des Ganges, den Salados durch die Menge gebildet hatte, als wären sie seine Diener. Wortlos ging Salados zu Drengur. Der Dämon neigte respektvoll den Kopf, ehe er zurücktrat und dem Senator das Feld überließ. Für einen Moment glitt Salados’ Blick durch die Reihen, er traf auch Nando, doch sein Antlitz blieb regungslos.
»Du sprichst von den Säulen Bantoryns«, begann er, und Nando schauderte, als die heisere Kälte in seiner Stimme ihn traf. »Du, der erst seit so kurzer Zeit in unserer Stadt lebte, du, den wir nur mit Mühe in unseren Reihen akzeptierten, du, der Sohn des Teufels – ausgerechnet du willst uns erzählen, worauf Bantoryn gegründet wurde?«
Er stieß verächtlich die Luft aus, schon taten es ihm einige Nephilim nach, doch noch während er Nando ansah, noch während er den Mund zu einem verbitterten Grinsen verzog und sich langsam den anderen zuwandte, nickte er.
»Ja«, raunte er, und Nando schauderte, als plötzliche Wärme die steinerne Fassade von Salados durchbrach. »Wir brauchen den Sohn des Teufels, der uns daran erinnert – denn wir haben es vergessen.«
Ein Raunen erklang, verunsichert schauten die Nephilim zu ihm auf, und Nando spürte sein Herz im ganzen Körper, so unwirklich erschien es ihm, Salados bei diesen Worten zu sehen.
»Ihr sprecht
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