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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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des Fremden vor seinem inneren Auge aufflackern. »Er ist ein Engel. Und wie Bhrorok will er meinen Tod. Warum? Warum jagen sie mich?«
    Antonio neigte leicht den Kopf, doch diese Bewegung genügte, um jeden Schimmer des Mondlichts von seinem Gesicht zu vertreiben. Seine Augen lagen da wie finstere Seen, und es war, als würde seine Stimme mit dem Wind verschmelzen und mit tausend Zungen zu sprechen beginnen. »Deine Welt wird zerbrechen«, erwiderte er leise. »Das sagte ich zu dir, denn sie ist mehr, als sie zu sein scheint. Ich werde dir nun eine Geschichte erzählen, eine Geschichte aus der Ersten Zeit, die in vielen Dingen vielleicht kaum mehr ist als Sage und Legende. Und doch musst du sie hören, um das zu begreifen, was geschehen wird.«
    Er nahm Enzos Geige in beide Hände, schnippte mit den Fingern und ließ einen schwarzen Funken auf die zerrissenen Saiten fallen. Knisternd lief er über sie hin, und sie erglühten in rotem Licht. Für einen Moment meinte Nando, einen Ton in der Geige widerhallen zu hören, einen Laut aus einem der Lieder, die Enzo oft gespielt hatte – oder vielleicht war es auch ein unterdrücktes, haltloses Schluchzen. Dann sprang der Funke in die Höhe und zerbarst in flirrende Staubkörner, die sich auf das Instrument legten und es in goldenes Licht tauchten. Antonio hob es in die Luft und zog die Hände zurück, doch die Geige schwebte vor seinem Gesicht, als hinge sie an unsichtbaren Fäden. Das goldene Licht glitt in Wellen über das Holz, und Nando hielt den Atem an, als die Geige sich wieder zusammenfügte, langsam und lautlos. Die Saiten verbanden sich wie lebendige Schlangenleiber, der halb abgerissene Hals heilte sich, und selbst der Korpus, der fast vollständig zerschmettert worden war, bildete neues Holz. Und während die Geige sich wie durch Zauberhand erneuerte, sprangen goldene Funken von ihr fort und zeichneten ein Bild in die Luft, als hätten sie Feuerhände, mit denen sie winzige Pinsel führten. Die Erde, von Wolken umgeben, entstand in flammenden Strichen, darüber ein zerrissener Himmel mit vereinzelten Sternen. Eine Gestalt stürzte aus dem Riss auf die Erde zu, unbeschienen vom Licht, das aus dem Himmel fiel, sodass sie der dunkelste Umriss des Bildes war. Schwingen ragten aus ihrem Rücken, das Gesicht verbarg sich in den Schatten. Nando kannte dieses Bild, er hatte es oft in den Büchern seiner Tante gesehen. Es war eine Illustration von Gustave Doré für John Miltons Paradise Lost , und es nannte sich Satan, der gefallene Engel .
    »Luzifer«, flüsterte Nando und spürte, wie dieser Name ihm das Haar aus der Stirn strich. Es schien ihm, als würden die winzigen Flammen des Bildes über seine Haut streichen und die Welt um ihn herum verwischen, bis er nichts mehr sah als die aus Feuer gezeichnete Erde, den zerrissenen Himmel und die dunkle, einsame Gestalt des fallenden Engels.
    »Nach der Geschichte, die ich dir erzählen will«, begann Antonio leise, »wurde Luzifer mit einer Vielzahl von Engeln auf die Erde verbannt, da sie sich geweigert hatten, sich vor Gottes neuer Schöpfung zu verneigen.«
    »Den Menschen«, erwiderte Nando. Er kannte die Erzählung des Höllensturzes, und auch wenn er nicht sonderlich religiös erzogen worden war, hatte ihn die Geschichte um den Kampf des Teufels gegen Gott immer schon fasziniert.
    Antonio nickte. »Luzifer zog sich tief ins Innere der Erde zurück und schuf dort das Pandämonium, das Reich aller gefallenen Engel. Er beschloss, Rache an Gott zu üben für seine Verbannung, doch statt ihm erneut im offenen Kampf gegenüberzutreten, wählte er den Weg der List. Folgt man den Lehren der Menschen, so hatte er maßgeblichen Anteil an der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden, und auf der Erde wurde es seine Leidenschaft, die Menschen zu bösen Taten zu verführen, um Gott zu beweisen, dass seine Schöpfung misslungen sei.
    Im Laufe der Zeit jedoch genügte Luzifer dies nicht mehr, und seine Anhänger spalteten sich in zwei Lager: diejenigen, die sich weiterhin Engel nannten und versteckt vor den Menschen leben wollten, und jene, die sich als Dämonen bezeichneten und wie Luzifer danach strebten, die Herrschaft über die Welt an sich zu bringen. Während die Engel ihr einstiges Handeln bereuten und sich dem Schutz der Menschen verschrieben, trachteten die Dämonen danach, sich für den Höllensturz an den Menschen zu rächen und sie unter ihre Herrschaft zu zwingen. Mehr und mehr entzweiten sich Engel und

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