Nephilim
Leben im Verborgenen führen muss und in der ständigen Furcht lebt, entdeckt und getötet zu werden. Nur einige wenige Engel lehnen diese unerbittliche Verfolgung ab und haben sich stattdessen als sogenannte Wächter dem Schutz der Nephilim verschrieben.«
Ein Ton wie ein Seufzen drang durch die Nacht. Er schien aus der Geige zu kommen, und für einen Moment meinte Nando, Enzos Stimme zu hören, sein Lachen und Worte aus solcher Ferne, dass sie kaum mehr waren als ein Flüstern.
»Yrphramar war einer von ihnen«, fuhr Antonio fort, und in diesem Moment, da Nando das Lachen seines Freundes hörte und dessen Worte wie Finger aus Wind auf seinen Wangen fühlte, wusste er, dass dies tatsächlich sein richtiger Name war. Yrphramar , wiederholte er in Gedanken, und er meinte, seinen Freund aus der Ferne antworten zu hören.
»Wie sein Vater und sein Großvater vor ihm war auch er ein Dämonenjäger«, sagte Antonio. »Zunächst arbeitete er im Dienst der Engelskönigin, doch er wandte sich schon früh von seinem Volk ab und führte eine Existenz zwischen den Welten, von den Dämonen gefürchtet, von den Engeln verachtet. Er war es, der Bhrorok einst zerrissen hat, der ihn nach Ambyon verbannte, in die Zwischenwelt der Dämonen, und nun ist Bhrorok zurückgekehrt und hat blutige Rache dafür genommen.« Antonio hielt kurz inne, er nickte wie in Gedanken. »Ja«, fuhr er etwas heiser fort. »Yrphramar hatte einen langen Weg hinter sich, ehe er sich als Wächter Bantoryns verpflichtete. Vielleicht wirst du seine Geschichte eines Tages erfahren. Versteckt vor den Engeln lebte er unter den Menschen. Es war seine Aufgabe, neu erwachende Nephilim zu finden, ihren Aufenthaltsort an mich zu übermitteln und sie in Sicherheit bringen zu lassen. Nur in absoluten Notsituationen trafen wir uns, um die Engel nicht auf unsere Spur zu bringen, und so kam es, dass ich ihn für eine sehr lange Zeit nicht mehr gesehen habe. Dennoch hielten wir den Kontakt, und er unterrichtete mich über alles, was er in der Welt der Menschen beobachtete. Er hatte dich bereits seit einer ganzen Weile im Verdacht, ein Nephilim zu sein, doch erst seit Kurzem besaß er Gewissheit. Es gelang dir, auf seiner Geige zu spielen – eine Fähigkeit, die kein gewöhnlicher Mensch je erringen würde. Er sandte mir eine Nachricht, und ich beeilte mich, dich zu erreichen.«
Nando nickte gedankenverloren. Er schaute auf das Instrument, das sich noch immer lautlos erneuerte, und sah goldene Funken aus dem flammenden Bild darauf niederfallen. Noch einmal durchdrang ihn die Euphorie jener Nacht, da er von den Klängen der Musik emporgehoben worden war, und seine Kehle schnürte sich zusammen, als er an den prüfenden Blick Yrphramars dachte, nachdem der letzte Ton verklungen war. Hatte sein Freund geahnt, was geschehen würde? Hatte er gewusst, was Nando bevorstand, vielleicht sogar sein eigenes Schicksal vorausgesehen? Ein Frösteln zog über Nandos Körper, denn Yrphramars Gesicht stand ihm vor Augen, und es lag etwas in dessen Blick, das wie ein Rätsel war, dessen Lösung Nando schon kannte. Yrphramar lächelte kaum merklich wie immer, wenn Nando ohne ein Wort von ihm auf den richtigen Gedanken gekommen war, und sein Bild zerbrach. Zischend sog Nando die Luft ein, denn auf einmal begriff er, dass Antonio mit seiner Erzählung noch nicht am Ende angekommen war. Da war noch etwas, ein Geheimnis, das er schon längst kannte und das doch so unglaublich war, dass er atemlos den Kopf schüttelte.
»Die Engel verfolgen die Nephilim«, flüsterte er. »Aber Bhrorok … Warum jagt er mich?«
Antonios Gesicht wurde vom goldenen Licht des Höllensturzes erleuchtet, als er sich vorbeugte. »Ich hielt dich für einen gewöhnlichen Nephilim, als ich dich zum ersten Mal sah. Doch dann führte Yrphramars Schmetterling mich zu seiner Gasse und ich erkannte, was geschehen war. Durch die Gabe der Rückschau sah ich, wie er starb – und ich begriff, dass die Hölle dich sucht. Denn du, Nando … Du bist der Nephilim, den nicht nur die Engel fangen wollen. Du bist der, den man den Sohn des Teufels nennt.«
Nando starrte auf das flammende Bild und die dunkle Gestalt, die schwingenbewehrt vom zerfetzten Himmel fiel, und er fühlte sie wieder, die klebrige und erstickende Finsternis der Ohnmacht, die nach ihm griff. Hilfloses Kind , flüsterte die Stimme aus Wüstenwind, die in den Schatten auf ihn wartete. Ich ahnte, dass du nichts bist als ein schwacher Mensch. Er erinnerte sich an
Weitere Kostenlose Bücher