Nephilim
seinen Traum, sein Atem ging schnell, als liefe er in diesem Augenblick durch die Straßen Roms, und die Stimme folgte ihm mitsamt allen Schatten, die aus den Nischen der Häuser krochen und sich zu grausamen Schemen verbanden. Die Stimme, die durch Erz und Feuer gegangen war und Himmel hatte zerbrechen sehen, nur um ihn zu finden. Die Stimme des Teufels.
»Das muss ein Irrtum sein«, sagte er seltsam heiser. »Ich kann unmöglich über eine solche Macht verfügen, das kann nicht wahr sein, ich … «
Er brach ab, als Antonio ihn mit einem spöttischen Lächeln bedachte. »Selten ist es vorgekommen, dass ein Nephilim, noch dazu einer, der nicht in Magie unterwiesen wurde und dessen Kraft noch nicht vollständig erwacht ist, mich verwundete, wie du es getan hast. Deine magische Macht ist groß, Nando. Du darfst dich nicht vor ihr verschließen. Du musst erkennen, was du bist, und deinen Weg gehen.«
Er berührte das flammende Bild mit der Hand. Knisternd fielen die Funken auf die Geige, die sich beinahe vollständig erneuert hatte, und stürzten Nandos Blick in die Dunkelheit des Nachthimmels.
»Bhrorok wird dich jagen bis ans Ende der Welt«, fuhr Antonio fort. »Er wird dir die Kraft nehmen, die der Teufel einst verlor, er wird seinen Meister befreien, und anschließend wird er dich töten. Vor den Engeln kann ein Nephilim sich in Sicherheit bringen – doch ein Dämon der Hölle, ein Scherge Luzifers hat mit seinem Blut für die Treue zu seinem Herrn gebürgt. Bhrorok ist ein uralter Dämon, der einst von Yrphramar zerrissen und in alle Winde verstreut wurde, aber er ist nicht gestorben, dafür hat sein Meister gesorgt. Nun ist er zurück, einer der mächtigsten Schergen der Schatten, den ich je kennenlernte, und er wird nicht ruhen, ehe er seinen Teil des Paktes erfüllt hat. Es gibt nur eine Chance für dich, ihm zu entkommen: Du musst dich ihm stellen – und ihn töten.«
Nando lachte auf, es war ein kurzes, hartes Lachen, das ihn erschreckte. »Ihn töten!« Er kam auf die Beine, ruhelos ging er auf dem Dach auf und ab, die Hände zu Fäusten geballt. »Ich habe noch nie mit einem Schwert gekämpft, ich komme schon außer Atem, wenn ich nur die Treppe hochlaufe, und im Sportunterricht wurde ich regelmäßig als Letzter in eine Mannschaft gewählt! Und jetzt soll ausgerechnet ich gegen Bhrorok, die Inkarnation des Bösen, antreten, Bhrorok, den Schergen des Teufels, der mich gerade fast mit einem einzigen Blick ins Jenseits befördert hätte?«
Antonio betrachtete ihn forschend, ohne etwas zu erwidern. Er schien nachzudenken und sprang so plötzlich auf die Beine, dass Nando erschrocken vor ihm zurückwich. Mit einem Lächeln trat Antonio auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Luzifer und seine Schergen sind nicht das Böse«, sagte er beinahe sanft. »Auch wenn sie es vielleicht gern wären.«
Nando verschränkte die Arme vor der Brust. Er bemühte sich mit aller Kraft, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber er spürte seinen Herzschlag in seiner Kehle und konnte nur mit Mühe verhindern, dass seine Stimme zitterte. »Ich kann nicht gegen einen Dämon bestehen! Bis vor Kurzem wusste ich ja nicht einmal, dass es Dämonen in unserer Welt gibt!«
»Ich kann dir helfen, deine Kräfte auszubilden«, erwiderte Antonio ruhig. »Ich kann dich alles lehren, was du brauchst, um Bhrorok zu bezwingen, und mehr als das. Der Teufel hat bereits begonnen, mit dir in Kontakt zu treten, nicht wahr? Über die Kraft, die in dir liegt, hat er eine Verbindung zu dir, und er wird sie nutzen, wann er kann, um dich auf seine Seite zu ziehen. Die Träume, Nando, werden erst der Anfang sein.«
Nando zog die Arme um seinen Körper, als er an den Schatten in seinem Traum dachte und die Stimme aus brennendem Wüstensand.
»Er wird dich locken«, sagte Antonio. »Er wird versuchen, dich zu verführen, und zwar mit aller Macht, über die er verfügt. Ich kann dich lehren, dich gegen seinen Ruf zu verteidigen. Doch du musst dich dafür entscheiden. Du musst dich entscheiden, den Weg eines Helden zu gehen, auch wenn du glaubst, keiner zu sein. Dann wirst du Bhrorok besiegen und anschließend versteckt vor den Engeln unter den Menschen leben können – oder du bleibst bei uns in Bantoryn, jenseits des Lichts in der Stadt unter der Stadt.«
Nando schüttelte den Kopf. Hilflos hob er die Schultern und ließ sie wieder sinken. Antonio schaute ihn aus schwarzgoldenen Rabenaugen an, das Gesicht so reglos, dass Nando nicht
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