Nephilim
ganzen Körper, als er den Arm ausstreckte und mit letzter Kraft Antonios Hand ergriff.
Er spürte noch, wie Antonio ihn mit sich riss. Dann umfing ihn Dunkelheit, und er wusste nichts mehr.
7
Nando erwachte von einem Duft. Es war eine seltsame Mischung aus brennenden Tannenzweigen, Meerluft und samtener Schwermut, die wie das lodernde Licht einer Fackel die Finsternis seiner Ohnmacht durchbrach. Er hörte donnernde Züge, die den Boden zum Erzittern brachten. Ein zäher Kopfschmerz puckerte hinter seiner Stirn, als er die Augen öffnete.
Er lag auf Antonios Mantel, das Gewebe war weich an seiner Wange, und als er den Kopf hob und sich umsah, stellte er fest, dass er sich auf einem Hausdach ganz in der Nähe der Statione Termini befand. Es hatte aufgehört zu regnen. Die durchnässte Dachpappe wellte sich, und der Mond brach durch die Wolkendecke und ließ sie glitzern wie Juwelen, die man auf ein schwarzes Tuch gestreut hat. Rings um den Rand des Daches flammten winzige weiße Flämmchen, und dort, mit dem Rücken an einen Schornstein gelehnt, saß Antonio und schaute mit wachsamen Augen über die Stadt. Nun, da er sich seines abgerissenen Mantels entledigt hatte, sah er in seiner merkwürdigen Kleidung beinahe aus wie ein Ritter aus einer fernen Zeit. Er hielt die zerbrochene Geige Enzos in den Händen. Die Verletzung an seiner Schulter war vollständig verheilt, und während er den Blick über die Dächer der Stadt schweifen ließ, wirkte sein Gesicht jung und fast friedlich.
»Wo sind wir?«, flüsterte Nando, denn er hielt es für möglich, dass seine Verfolger nur darauf warteten, seine Stimme zu hören, um ihn erneut zu überfallen.
Antonio wandte den Blick. »Wie du siehst, bist du noch immer in deiner Welt. Du wirst es nicht erleben, dass ich mein Wort breche.«
Nando setzte sich auf, ein stechender Schmerz durchzog seinen Arm. Er schob den Ärmel seines Hemdes zurück und sah mit Schrecken die schwarz verfärbten Striemen, die Bhroroks Klaue in seinem Fleisch hinterlassen hatte. »Ich bin verletzt«, stellte er überflüssigerweise fest und hob den Arm, in dem sich ein taubes Gefühl ausbreitete.
Antonio zuckte mit den Schultern, ehe er sich erhob und neben Nando in die Knie ging. »Das passiert, wenn man sich mit Dämonen anlegt«, erwiderte er sachlich, zog einen Beutel aus seiner Tasche und streute unter leisem Gemurmel blauen Sand auf Nandos Arm, der sich zischend ins Fleisch brannte. Nando schrie auf, doch sofort packte Antonio ihn im Nacken und schickte eine Welle aus Kälte in seine Kehle, die jeden Laut erstickte.
»Still!«, raunte er eindringlich und deutete auf die Flammen rings um das Dach. »Ich habe uns vor ihren Blicken bewahrt, doch sie sind nicht taub. Wenn du schreist wie ein verwundetes Rehkitz, werden sie kommen.«
Nando nickte atemlos. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf seinen Arm, die Zähne so fest aufeinandergepresst, dass sein Kiefer anfing zu schmerzen, und beobachtete die winzigen Rauchfäden, die aus seiner Haut aufstiegen. Der Schmerz ließ nach, und aus dem Rauch wurde kühler Nebel, der sanft über seinen Arm strich und ihn für einige Augenblicke in eine dichte weiße Schicht hüllte.
»Halte ihn ruhig«, sagte Antonio. »Mein Zauber wird dich schnell heilen, wenn du ihn lässt.«
Nando schüttelte ungläubig den Kopf. »Bhrorok«, murmelte er und fühlte, wie der Name schwer und kalt über seine Lippen kroch. »Ist er tatsächlich ein Dämon gewesen?«
Antonio nickte wortlos. »Erstanden aus dem Zorn des Donners, als Himmel und Hölle zerbarsten, genährt von den Tränen der Welt, verdorben in den Ruinen ihres faulenden Fleisches. Erwachsen zum Krieger des Zorns und zum Schatten der Gier, der alles verschlingt, was sein Meister sich anbefiehlt. Einst zerrissen von der Hand eines Jägers, doch wiedergekehrt in Kälte, Blut und Finsternis – wie in den lang vergangenen Tagen, damals vor dem Ersten Frost.«
»Aber jetzt ist er tot, nicht wahr?«, fragte Nando kaum hörbar, doch Antonio schüttelte den Kopf.
»Nein«, erwiderte er, und Nando hörte die Bitterkeit in seiner Stimme wie pfeifenden Wind. »So einfach ist eine Kreatur wie Bhrorok nicht zu bezwingen. Avartos ist stark, doch für diese Tat fehlt ihm die Macht. Denn Bhrorok ist ein Geschöpf der Hölle – und nur die Kraft, die ihn erschuf, kann ihn vernichten. Doch Avartos ging es ohnehin nicht darum, Bhrorok zu bezwingen. Er wollte dich töten.«
»Avartos«, wiederholte Nando und sah das Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher