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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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trügerischem Frieden darauf nieder wie Schnee in einer kalten Winternacht.

11
    Schattenspiele tanzten über die Wände der Höhle wie Ungeheuer mit zerfetzten Gliedern. Ein filigranes Netz aus weißen Kreidestrichen überzog den Boden, und in seiner Mitte loderte ein schwarzes Feuer. Bhrorok starrte hinein, die Augen so dunkel, dass er ihre Schatten auf seiner Haut fühlen konnte, und verfluchte seinen Auftrag. Nicht genug damit, dass der Junge ihm entkommen war. Nicht genug, dass er von einem Sklaven des Lichts verwundet worden war und nur unter Aufbietung seiner letzten Kräfte zu alter Stärke hatte zurückkehren können. Seine Heuschrecken waren nicht zu ihm zurückgekehrt. Einige wenige hatten den Jungen aufgespürt und dann waren auch sie gestorben wie die anderen zuvor, waren wie tote Fliegen zu Boden gefallen – tot , einfach so.
    Der Wolf, der reglos neben ihm hockte, jaulte leise, und Bhrorok ballte die rechte Hand zur Faust. Er war es, der entschied, wer tot sein durfte – niemand sonst. Wem, verflucht noch einmal, fiel es ein, seine Geschöpfe dahinzuraffen?
    »Herr … «
    Eine widerwärtig kriecherische Stimme ließ ihn aufsehen in ein Gesicht ohne Haut. Rohes Fleisch lag in einem wohl einst menschlichen Gesicht, die Augäpfel waren gelb und rollten unkontrolliert auf und nieder, und der Mund grinste lippenlos wie bei einem Totenschädel.
    Bhrorok schnaubte. Ihm stand nicht der Sinn nach einem Plausch. »Warum sind sie tot?«, fragte er dennoch, denn irgendwo musste diese Frage hin, wenn er sie schon nicht selbst beantworten konnte.
    »Nun«, säuselte das Wesen und zog die zerfetzten Schultern ein wenig an. »Jedem schlägt die Stunde irgendwann, so ist der Lauf … «
    Blitzschnell hatte Bhrorok den blutigen Hals der Kreatur mit der rechten Hand umfasst und hob sie ein ganzes Stück weit über den Boden. »Unsinniges Geschwätz«, grollte er. Wenn er eines noch mehr hasste als den Gestank dieser Welt nach Blumen und Meer, dann waren es ihre Redewendungen. Die Kreatur in seiner Faust ächzte und verteilte ihren Geifer auf seinen Fingern. Angewidert warf er sie zu Boden und hielt die Hand in die Flammen, um sie zu reinigen. Gierig stürzte sich das Feuer auf den Speichel.
    »Sie vertragen die Welt nicht«, keuchte die Kreatur zu seinen Füßen. »Sie kennen nur Schatten und Dunkelheit und die Kälte der Verdammnis. Sie wissen nichts mehr vom Licht des Mondes, von den Stimmen der Sterne in tiefschwarzer Nacht. Zu lange wart Ihr fort, Herr. Ihr dürft nicht vergessen, dass alles stirbt, eines Tages.«
    Bhrorok bewegte die Finger in den Flammen. »Ich nicht«, erwiderte er tonlos. Darauf schwieg die Kreatur und Bhrorok dachte an den Teufelssohn und daran, wie dieser mickrige Wurm ihn angesehen hatte. Dieser Blick hatte etwas in ihm wachgerufen, etwas, das stach und brannte wie eine Erinnerung eines der Wesen, die er verschlungen hatte. Dunkel brandete Bhroroks Zorn in ihm auf, und er stieß die Luft aus, langsam und schneidend.
    Die Kreatur rappelte sich auf. »Ihr wisst, was Ihr tun müsst«, sagte sie und schaute aus ihren lidlosen Augen in die Flammen. »Ihr wisst, wen Ihr rufen müsst, um den Jungen zu finden. Noch habt Ihr keine Spur, noch wiegt er sich in … Sicherheit. Doch er könnte ihn aufspüren, er … der Tausendäugige.«
    Die Flammen loderten auf, als würde ein Windstoß sie durchfahren, und die Kreatur starrte für einen Augenblick atemlos ins Feuer, ehe sie fortfuhr: »Körperlos und frei von jedem Sinnenzwang schwebt er in den Hallen des Ewigen Sturms – in Razkanthur, dem Reich unseres Volkes nach dem Ende der leiblichen Existenz.«
    Bhrorok nickte langsam. Er meinte, Säulen aus Stein durch die Flammen tauchen zu sehen. Ein schwarzer Himmel ohne Sterne thronte über ihnen, und darunter klaffte ein Abgrund von solcher Tiefe, dass Bhrorok schwankte bei einem Blick hinein. Orlus, der Sturz der Schatten, wurde er genannt, dieser Abgrund vollendeter Finsternis, der jeden wahren Dämon in sich aufnahm und ihn schweben ließ in ewiger Ruhe und Dunkelheit. Tanzende Nebel bewegten sich durch das Feuer, wie schwarze Schleier durchzogen sie die Flammen, einige weit entfernt, andere näher, und manchmal zuckte etwas in ihnen auf, etwas wie eine Fratze oder ein Schrei, nur um gleich darauf wieder zu erlöschen. Bhrorok hörte Irmlon, den Sturmwind der Ewigen Hallen, und für einen Moment meinte er, statt der Flammen seines Feuers die nächtlichen Schleier des Orlus auf seiner Haut zu fühlen,

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