Nephilim
dunkelgrüner Uniform die großen und kleineren beweglichen Übergänge rings um die Schwarze Brücke überwachten. Langsam erwachte die Stadt zum Leben, die Straßen füllten sich, und je deutlicher die Stimmen der Nephilim zu Nando heraufklangen, desto unruhiger wurde er. Ich werde ihn im Auge behalten – ich und die ganze Stadt. Er fuhr sich über die Augen, um Salados’ Worte aus seinen Gedanken zu vertreiben, doch es gelang ihm nicht vollständig.
Er hob den Blick und sah weit vor den Toren der Stadt eine graue Ebene mit zahlreichen Grabmalen. Es war die Ebene ohne Zeit, das hatte Antonio ihm erzählt, und Nando ahnte, dass dort unzählige Opfer des ersten Teufelssohns begraben lagen. Er hatte geträumt in der vergangenen Nacht, es war ein wirrer Traum gewesen, in dem ihm der Teufel erschienen war. In Gestalt des roten Drachen hatte er zu ihm gesprochen, hatte ihn gelockt und zu sich gerufen, und er hatte gelächelt über Nandos Vertrauen zu Antonio und den Nephilim. Sie werden dich kleinhalten , hatte Luzifer geflüstert. So wie sie es stets mit unseresgleichen tun. Sie wollen dich daran hindern, deine Kraft zu nutzen, weil sie Angst vor dir haben, Angst vor dem, was in dir ruht. Noch fürchtest du dich selbst, noch glaubst du ihren Lügen. Doch eines Tages, bald schon, wirst du deine wahre Stärke erkennen. Mit mir wirst du sie nutzen können, ich kann dich leiten auf deinem Weg, besser, als sie es jemals könnten. Bhrorok ist dir auf der Fährte, doch noch liegt es bei dir: Folge mir aus freien Stücken. Folge mir als mein Sohn, und ich erhebe dich zu einem Fürsten der Welt.
Nando stieß leise die Luft aus. Er sah den Teufel vor sich mit seinem vollkommenen Engelsgesicht, hörte seine Stimme ihn umschmeicheln und spürte die zitternde Flamme in seiner Brust, die mit brennender Sehnsucht an seinem Fleisch nagte. Etwas in ihm gab Luzifer Antwort, und es ließ sich nicht zum Schweigen bringen, sosehr Nando es auch versuchte. Gleichzeitig jedoch sah er sie genau, die Finsternis, die in den Augen des Teufels loderte und hinter der Maske aus Gold und Verführung nur darauf wartete, ihn zu verschlingen. Diese Dunkelheit, das spürte Nando, ging über seine Kraft. Er würde sie nicht bezwingen, wenn er einmal in ihr versunken war – und wer konnte wissen, was dann aus ihm werden würde?
Die Stimmen der anderen Novizen drangen durch die dünne Tür seines Zimmers und verstärkten das mulmige Gefühl in seinem Magen. In einem würde Salados sicher recht behalten: Die ganze Stadt wartete darauf, dass er einen Fehler machte – und vermutlich würde kein Nephilim zögern, ihn hinauszuwerfen, wenn das geschehen sollte. Dunkel flammte die Gestalt des Drachen vor seinem inneren Auge auf, doch bevor er das unheilvolle Lachen hören konnte, das bereits in der Nacht zuvor durch seine Gedanken gefegt war, wandte er sich vom Fenster ab.
Nachdenklich öffnete er den Geigenkasten, der neben seinem Bett stand, und strich über das Instrument. Das Gesicht Yrphramars tauchte vor ihm auf, und wie am Abend zuvor dachte er an seine Tante Mara, an Giovanni und seine Freunde, die er in der Oberwelt zurückgelassen hatte. Er hatte Mara eine kurze Nachricht zukommen lassen und auf Antonios Geheiß so wenig wie möglich hineingeschrieben, um weder seine Tante noch sich selbst in Gefahr zu bringen. Er hatte ihr geschrieben, dass es ihm gut ginge, dass er sich bei ihr melden würde, sobald es ihm möglich wäre, und dass sie sowohl sich selbst als auch ihn in Lebensgefahr bringen würde, wenn sie nach ihm suchen ließe. Antonio hatte ihm mehrfach versichert, dass die Ritter Bantoryns in regelmäßigen Abständen überprüften, ob es ihr gut ginge, und es bislang keine Zwischenfälle gab, und dennoch spürte Nando erneut den übermächtigen Drang, ihr alles zu erklären, denn er wusste, dass sie krank vor Sorge um ihn sein musste.
Er schloss den Geigenkasten, aber gerade in diesem Moment meinte er, das Instrument aufspielen zu hören. Er nickte, als wäre dieser Ton ein Ratschlag gewesen, und musste lächeln. Wie oft hatte er über Yrphramar gelacht, nicht boshaft oder herablassend zwar, aber dennoch ein wenig spöttisch, wenn er mit seiner Geige gesprochen hatte. So weit entfernt davon schien er selbst nun auch nicht mehr zu sein, und es störte ihn nicht im Geringsten. Er stellte den Geigenkasten zurück an seinen Platz und trat vor den Spiegel, der über der Kommode hing. Er durfte sich nicht von seinem Ziel ablenken lassen. Er
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