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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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verbracht. Noch immer erscheint mir die Oberwelt der Menschen mitunter wie ein Kuriositätenkabinett. Aber das hast du umgekehrt sicher auch gedacht, als du in die Unterwelt gekommen bist, nicht wahr?«
    Nando dachte an den Aschemarkt und seine außergewöhnlichen Besucher, ließ den Blick über die schwebenden Fahrstühle und die Kleidung der Bewohner Bantoryns gleiten und nickte. »Ehrlich gesagt erscheint es mir immer noch so.«
    »Vermutlich sollte ich dir jetzt sagen, dass du dich schon daran gewöhnen wirst«, erwiderte Silas nachdenklich. »Aber eigentlich ist es viel besser, sich nicht daran zu gewöhnen. Weißt du, Nando, diese Stadt ist mehr als die Zuflucht der Nephilim. Sie ist auch ein Ort der Wunder und Magie, ein Platz für all jene, die zwischen den Welten zu Hause sind. Manchmal denke ich, dass die Welt eine bessere wäre, wenn es mehr Orte wie Bantoryn in ihr gäbe – Orte der Vielfalt, der Freiheit und des ungebrochenen Willens, Orte bis zum Rand gefüllt mit verborgenen Geheimnissen. Ich wünsche dir, dass du diesen Zauber immer spüren wirst. Behalte deinen Blick für die Schönheit dieser Stadt – mit all ihren schrägen Vögeln.«
    Er deutete lachend auf einen beleibten Nephilim mit einem merkwürdigen Hut aus Alufolie auf dem Kopf, aus dem silbrige Tentakel ragten, und Nando fiel in sein Lachen ein. Kurz darauf gelangten sie an eine Kreuzung, und Silas blieb stehen.
    »Zur Arena folgst du einfach weiter dieser Straße«, sagte er und wies die Gasse hinab. »Leider kann ich mir das Schauspiel nicht ansehen. Morgen werde ich meine Truppen wieder in die Oberwelt führen, um Laskantinspeicher abzubauen und sie sicher nach Bantoryn zu bringen, und danach werden wir Klassen der Akademie dorthin begleiten und vor möglichen Angriffen durch die Engel schützen. Außerdem hat Salados, der General der Garde, die Patrouillen in den Gängen der Schatten rings um Bantoryn verstärkt. In den kommenden Wochen werde ich vermutlich nur selten hier sein, aber ich bin schon gespannt darauf, was du gelernt hast, wenn wir uns wiedersehen. Bis dahin braucht mich mein Corps.«
    Nandos Miene verfinsterte sich. »Seit ich hier bin, strömen die Engel in Scharen aus, um mich zu finden, nicht wahr? Und Ritter wie du riskieren ihr Leben, um sie fernzuhalten.«
    »Niemand zwingt mich, ein Ritter der Garde zu sein«, erwiderte Silas achselzuckend. »Ich habe mich selbst dafür entschieden, und ich verteidige die Stadt nicht nur für die Nephilim. Es ist, wie ich sagte, Nando: Bantoryn ist mehr als eine Zuflucht. Sie ist die Heimat von uns allen. Sie ist ein Gedanke, eine Idee aus Licht und Freiheit, und dafür kämpfe ich.«
    Er lächelte ein wenig, und es lag so viel Zuversicht in dieser Geste, dass Nando die Blicke der anderen Nephilim kaum noch wahrnahm. »Und du zweifelst nie daran, dass es richtig ist, was du tust?«, fragte er. »Dass du versagen könntest? Hast du nie Angst?«
    Silas nickte, als würde er über die Fragen nachdenken. Dann holte er tief Atem. »Doch«, sagte er leise. »Oft.«
    Nando zog die Brauen zusammen. »Aber warum tust du es dann?«
    »Es gibt Dinge, die man tun muss«, erwiderte Silas mit einem Ernst, der Nando den Atem anhalten ließ. »Sonst wäre man kein Nephilim, kein Mensch, kein Engel oder Dämon – sondern nichts als ein Haufen Dreck. Da draußen, Nando, gibt es wichtigere Dinge als Angst und Zweifel. Es sollte immer wichtigere Dinge geben als das.«
    Mit diesen Worten legte er ihm die Hand auf die Schulter und lächelte ihm noch einmal zu. Dann neigte er den Kopf wie bei einer Verbeugung, wandte sich ab und ging durch die Menge davon. Nando schaute ihm nach, bis sich fremde Nephilim in sein Blickfeld schoben, und setzte seinen Weg fort. Er bemühte sich, etwas von dem Gefühl der Vertrautheit bei sich zu behalten, das sich während des Gesprächs mit Silas in ihm ausgebreitet hatte, doch kaum dass er von dem ersten Novizen angerempelt wurde, kehrte die Kälte in seinen Magen zurück. Er holte Atem und hob den Kopf, wie er es bei Silas gesehen hatte. Schwach hing der Duft des Schlafmohns in der Luft, er brachte Nando die Stimme Olvryons zurück. He’vechray , hörte er sie in seinem Kopf, und er wiederholte das Wort in Gedanken: Heimat . Er sah die Augen des Hirsches vor sich, die nichts waren als Nacht und Sterne, und erinnerte sich an das, was Antonio ihm sagte. Olvryon sieht, wer du wirst. Das solltest du auch tun. Du musst ein Teil der Schattenwelt werden – jener Teil, der

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