Nephilim
du immer schon warst.
Mit diesen Gedanken schob Nando sich durch die Menge, begegnete den Blicken der Nephilim mit erhobenem Kopf und wich nicht zurück, wenn sie ihm entgegentraten oder ihn beiseitezudrängen versuchten. Er war nicht ohne Grund in diese Stadt gekommen, Silas hatte recht gehabt. Antonio hatte ihn hierher gebracht, damit er sich gegen Bhrorok und die Engel verteidigen konnte, und der Senat hatte diese Entscheidung gebilligt. Er durfte sich von den Nephilim nicht unterkriegen lassen, ebenso wenig wie von seinem eigenen Zweifel, der boshaft in seinem Nacken saß und ihm zuflüsterte, dass er ein Tellerwäscher sei, nichts weiter, und als solcher nicht das Geringste in einer Stadt wie Bantoryn verloren habe.
Nach kurzer Zeit erreichte er einen ovalen Platz, der von hohen Laternen umkränzt wurde und in dessen Mitte sich eine Arena aus schwarzem Marmor erhob. Breite Portale gewährten den Zugang ins Innere, und nachdem Nando in der Masse der Nephilim hineingespült und die ersten Stufen emporgetrieben worden war, glitt sein Blick über die Reihen aus steinernen Stufen, breite, mit verzierten Geländern versehene Treppen und eine Arena mit feinem, schneeweißen Sand. Unwillkürlich musste er an die Ruine des Kolosseums denken. Etliche Male hatte er zwischen den steinernen Pfeilern gestanden oder hinab in die einstige Unterkellerung geblickt und sich vorgestellt, wie gewaltig dieses Bauwerk in seinen Glanzzeiten gewesen sein musste. Er kannte auch das Theater von Verona, doch erst jetzt, da er – gestoßen von unzähligen Ellbogen der anderen Novizen – die Treppe hinaufging, bekam er eine Ahnung davon, wie die Stimmung in einem Gebäude dieser Art zu früheren Zeiten gewesen sein musste. Er setzte sich in eine der unteren Reihen, ließ den Blick über die sich zunehmend füllenden Tribünen und den staubigen Sand der Arena gleiten und meinte fast, das Brüllen eines Tigers zu hören, als die schweren Tore geschlossen wurden. In diesem Sand, das wusste er plötzlich, war schon oft Blut vergossen worden, und mehr als das: Dort unten, zu Füßen der Zuschauer, waren Nephilim gestorben.
»Das ist richtig«, hörte er eine Stimme. Er wandte den Blick und schaute in das Gesicht von Morpheus, dem Senator, der mit seinem Rollstuhl die Treppe herunterkam. Kleine Greifbeine schoben sich blitzschnell an den Seiten der Räder heraus und ermöglichten ihm ein beinahe gleitendes Vorankommen. Neben Nando blieb er stehen, fuhr mit seinem Gefährt bis dicht an die Sitzreihe heran, sodass die anderen Zuschauer an ihm vorbeigehen konnten, und lächelte Nando freundlich zu. »In der Tat sind Leute gestorben in dieser Arena, das hast du ganz richtig festgestellt«, sagte er und zog etwas aus seiner Tasche, indem er ächzend auf seinem Sitz hin und her rutschte. Es war ein Amulett mit fünf verschiedenen Zeigern, die sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit vor einem matt glänzenden Ziffernblatt aus Kupfer drehten. Das Schmuckstück hing an einer dünnen, bronzefarbenen Kette. »Früher waren die Trainingseinheiten härter als heute, und manch einem ist entweder seine eigene Magie oder die des Gegners zu Kopf gestiegen, mitunter im wahrsten Sinne des Wortes. Hier, häng dir das um den Hals, muss ja nicht jeder wissen, was du in Gedanken zu sagen hast, nicht wahr?« Nando legte sich die Kette zögernd um. Er stellte nicht den geringsten Unterschied fest, doch Morpheus nickte zufrieden. »Na also«, sagte er stolz. »Bald wirst du es nicht mehr brauchen, Antonio wird dir schon beibringen, wie du Privates bei dir behältst. Aber bis dahin kannst du es tragen. Jetzt muss ich mir nicht mehr mit anhören, welchen spätpubertären Phantasien du möglicherweise nachgehst, während du mir nicht zuhörst.«
Er kicherte koboldhaft, und Nando konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Morpheus hatte ihn vor dem Senat verteidigt, und darüber hinaus hatte er eine Art an sich, die Nando an die liebenswerte Verrücktheit Yrphramars erinnerte. »Ich möchte mich bei Euch bed…«, begann er, wurde jedoch umgehend von Morpheus unterbrochen, der in rasender Geschwindigkeit vor ihm durch die Luft fuchtelte.
»Unfug, Blödsinn, Quatsch«, murmelte er, griff neben seinen Sitz und zog eine Atemmaske von einem Haken. Eilig presste er sie sich vor das Gesicht, sog gierig die Luft ein, schloss kurz mit zitternden Lidern die Augen und nickte hingegeben. Dann hängte er die Maske zurück an ihren Platz.
»Morphium«, sagte er, als er
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