Nephilim
zitterten heftig. Er konnte kaum atmen, doch er schaffte es, sich aufzurichten. Auf den Knien blieb er, wo er war, den Kopf tief geneigt, und ließ die Angriffe der anderen von sich abprallen wie Regen. Dumpf drangen ihre Rufe zu ihm. Sie konnten ihn verletzen, doch er würde nicht vor ihren Augen versagen, nein, das würde er nicht.
»Genug!«
Wie von ferne hörte er Drengurs Stimme, und als hätte sie eine Fessel durchtrennt, die ihn aufrecht hielt, sank Nando unter ihrem Klang zu Boden. Das Licht des Schwertes erlosch, für einen Moment wurde alles um ihn herum schwarz. Dann spürte er, wie er am Arm gepackt und in die Höhe gezogen wurde. Mühsam öffnete er die Augen, ein stechender Kopfschmerz durchzog seinen Schädel.
»Verschwindet«, befahl Drengur in Richtung der Nephilim, die sich wie hungrige Hyänen zusammengerottet hatten, und ließ Nandos Arm los. Langsam trat der Dämon auf die anderen zu. »Nehmt euch vor euch selbst in Acht. Dieser Nephilim hat größere Kämpfe auszutragen, als ihr jemals ermessen werdet. Möglicherweise ist er stärker, als ich annahm. Die Frage ist jedoch, ob das gut ist – oder schlecht.«
Nando achtete nicht auf die abfälligen Bemerkungen, sah nur aus dem Augenwinkel Paolos höhnisches Grinsen und merkte kaum, wie die Novizen nacheinander den Raum verließen. Sein Blick hing an Drengur, der in einiger Entfernung von ihm stehen geblieben war. Ein seltsamer Schleier hatte sich in die Augen des Dämons gestohlen, ein Schatten, der wie ein Geheimnis oder ein Versprechen war. Kaum merklich neigte Drengur den Kopf. Dann wandte er sich ab und ließ Nando allein zurück.
16
Jeder verfluchte Knochen in Nandos Körper schmerzte, als wäre er kurz vor dem Zerspringen. Niemals hätte er gedacht, dass sich so viele verschiedene Sehnen, Muskeln und Wirbel unter seiner Haut verbargen, und nie hätte er sich ausmalen können, wie weh es tat, jede einzelne Faser davon ganz genau zu spüren. Im Schneckentempo schleppte er sich die Treppe hinauf. Seine nutzlosen Schwingen schleiften wie gebrochen hinter ihm her, seine linke Hand zitterte noch immer, während die Taubheit langsam abnahm und nichts als den Schmerz zurückließ.
Auf dem obersten Absatz blieb er stehen und überlegte, ob er zu Antonio gehen und mit ihm sprechen sollte. In den vergangenen Tagen hatte er häufig Rat bei ihm gesucht, und immer hatte Antonio ein offenes Ohr für ihn gehabt, doch nun … Nandos Blick fiel auf seine Arme, die von blutigen Striemen und blauen Flecken übersät waren, und er schüttelte den Kopf. Er konnte ihm unmöglich in diesem Zustand unter die Augen treten, noch dazu nicht mit der Nachricht, dass Luzifer ihm Schreckensbilder in den Kopf sandte, die der Feuersbrunst des einstigen Teufelssohns glichen und Gefühle wie Euphorie in ihm auslösten. Ärgerlich stieß er die Luft aus. Schlimm genug, dass er sich gegen die anderen Nephilim nicht hatte verteidigen können und beinahe den Lockungen des Teufels gefolgt war, da musste er nicht auch noch das Risiko eingehen, Antonio zu enttäuschen.
Stöhnend setzte er seinen Weg fort, ignorierte die stichelnden Bemerkungen der anderen Nephilim und schob sich in sein Zimmer. Erleichtert holte er Atem, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Er legte sich vorsichtig auf sein Bett – und kam umgehend wieder auf die Beine. Sein Rücken war mit blauen Flecken übersät, und wenn er sich darauflegte, fühlte es sich an, als würde er sich verrostete Speerspitzen ins Fleisch bohren. Seufzend zog er sich seinen Stuhl ans Fenster, setzte sich darauf, ohne sich anzulehnen, und schaute über die Dächer der Stadt.
Die Laternen glommen in goldenem Licht, ein Zeichen dafür, dass an der Oberwelt gerade später Nachmittag war. Wie von Geisterhand bewegten sich die Brücken. Roter Mohnstaub wehte an Nandos Fenster vorbei, und als er es aufschob, konnte er mit dem Finger eine dünne Schicht des Pulvers von seinem Sims streichen. Gleichzeitig drang Musik zu ihm herüber, das Spiel eines Saxophons, das sanft und melancholisch über die Dächer Bantoryns strich. Die Musik war wie ein Ruf nach einer Antwort, und wenige Augenblicke später fiel eine Klarinette aus einem anderen Winkel der Stadt in die Melodie ein. Nando seufzte tief. Er hatte es in den vergangenen Tagen häufig erlebt, dass die Bewohner Bantoryns und besonders die Novizen der Akademie auf diese Weise miteinander kommunizierten, und jedes Mal, wenn die einsame Stimme eines Instruments zu ihm heraufklang,
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