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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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überkam ihn der Drang, seine Geige zu nehmen und zu antworten. Doch er tat es nicht. Mitunter stand er allein am Fenster und spielte, aber eine Antwort erreichte ihn nie, auch dann nicht, wenn er meinte, die Stadt würde Atem holen von der Schönheit seines Spiels. Er war ein Fremder in Bantoryn, und besonders in Momenten wie diesem wurde ihm das schmerzlich bewusst. Er hatte die Rauchspuren in den unteren Vierteln der Stadt gesehen, die Neubauten, die nach der Feuersbrunst des einstigen Teufelssohns errichtet worden waren und ihn wie ein Mahnmal an das erinnerten, was in ihm lag. Er war kein gewöhnlicher Nephilim. Er war der Teufelssohn. Das war alles, was für die Bewohner Bantoryns zählte, und wenn er an die Stimme dachte, die zu jeder Stunde in der Dunkelheit seiner Bewusstlosigkeit darauf lauerte, ihm Versuchung und Lockungen einzuflüstern, konnte er es ihnen nicht verdenken. Und doch schlief er oft mit den Klängen der Musik ein, die wie Frage und Antwort über die Dächer Bantoryns geschickt wurde, und sehnte sich danach, an diesem Spiel teilzuhaben.
    Ein Lachen drang zu ihm herauf, hell und klar wie der erste Regen in einer lauen Sommernacht. Er beugte sich ein wenig vor und sah Noemi, die in Begleitung von Silas über die Schwarze Brücke ging, die den Mal’vranon mit dem Flammenviertel verband. Seinen Namen hatte dieser Teil Bantoryns von den zahlreichen Kneipen und Bars bekommen, aus denen besonders am Abend glutrotes und gelbes Licht fiel, das von ferne aussah wie fröhliches Feuer. Mitunter flackerten helle Neonlichter dazwischen auf, und Musik drang durch geöffnete Fenster. Noemi hatte Silas untergehakt, und während ihr Bruder ihr etwas erzählte, lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Nando zog die Brauen zusammen. Wie verändert Noemi ihm erschien, nun, da er sie lächeln sah, und wie seltsam fremd und vertraut zugleich ihr Lachen zu ihm heraufklang. Er sah sie vor sich, die Augen zu Schlitzen verengt, und hörte ihre Stimme, als sie ihm Worte aus Zorn entgegengeschleudert hatte. Er ging jede Wette ein, dass sie Paolos Verhalten während des Trainings gebilligt und unterstützt hätte, und sicher würde es sie glücklich machen zu erfahren, dass er vor Schmerzen nicht einmal liegen konnte.
    Noemi warf ihr Haar zurück und verschwand am Arm ihres Bruders im Gewirr der Gassen, in dem bald die Feier zu Ehren der Garde beginnen würde. Wie gern hätte Nando ihnen nachgerufen, hätte sich ihnen angeschlossen und wäre mit ihnen in eine der Kneipen gegangen, in denen die anderen Novizen der Akademie sich abends trafen, um Tischfußball zu spielen oder einfach zusammenzusitzen. In der Oberwelt hatte Nando sich vor allem in den Sommermonaten beinahe jeden Abend mit seinen Freunden auf den Plätzen Roms verabredet, es war ihm so natürlich erschienen wie essen und trinken, doch nun, da er daran zurückdachte, erschien ihm diese Zeit wie eine Geschichte in einem Traum.
    Er dachte an Luca, an Mara und Giovanni, aber auch an Signor Bovino, an Ellie und all die anderen, die er zurückgelassen hatte. Täglich erkundigte er sich bei Antonio, ob es Neues gäbe von seinen Freunden und seiner Familie, und immer erhielt er dieselbe Antwort: Es ginge ihnen gut, sie würden ihn sicher vermissen, aber nun müsste er sich darauf konzentrieren, am Leben zu bleiben, um sie eines Tages wiedersehen zu können. Nando seufzte noch einmal. Was hätte er darum gegeben, jetzt zu Mara und Giovanni in die Küche gehen und ihnen beim Streiten zuhören zu können oder mit Luca am Ufer des Tibers zu sitzen und mit ihm über alles zu sprechen oder über nichts. Oft hatten sie das getan, früher, als sie noch klein gewesen waren, und selbst mit zunehmendem Alter war diese Tradition in ihrer Freundschaft erhalten geblieben. Nando erinnerte sich an Nächte, die sie bis in den Morgen verquatscht hatten, und an eine unliebsame Begegnung mit einigen Carabinieri, die es alles andere als amüsant fanden, zwei Halbwüchsige am Ufer des Tibers ein Lagerfeuer abbrennen zu sehen. Luca und Nando waren vor ihnen geflüchtet und hatten noch Tage später darüber gerätselt, ob die Polizisten sie tatsächlich nicht hatten einholen können oder angesichts der frisch gebrateten Lachse auf dem Feuer ihre Pläne geändert hatten. Nando lächelte, als er daran dachte, und strich über den roten Mohnstaub an seinem Finger. Was hätte er darum gegeben, Luca die Schattenwelt zeigen zu können.
    Ausatmend griff er nach seiner Geige und fuhr mit der linken

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