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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Hand sanft über das Instrument. Wie oft hatte Yrphramar wohl in seiner Gasse gesessen, einsam und verloren in der Welt, in die er geraten war, und wie Nando auf sein Instrument geschaut? Vielleicht hatte er aus diesem Grund begonnen, mit der Geige zu sprechen? Nando biss sich auf die Lippe, dann räusperte er sich.
    »Hallo«, sagte er und kam sich sofort lächerlich vor. Er verdrehte die Augen vor sich selbst. Sicher würde Paolo einiges dafür geben, um ihn dabei beobachten zu können, wie er mit einer Geige sprach. Er lächelte ein wenig. »Vielleicht weißt du es schon«, fuhr er fort. »Aber ich bin Nando. Ich bin ein Nephilim, aber das habe ich erst vor Kurzem erfahren, und ich werde von allen möglichen Gestalten verfolgt, die mir ans Leben wollen. Man sagt, ich sei der Teufelssohn, und … « Er brach ab.
    Was um alles in der Welt tat er da eigentlich? Waren das die ersten Anzeichen von Verrücktheit? Würde er sich etwa auch bald einen Hut aus Alufolie aufsetzen und damit durch die Stadt laufen? Er schüttelte den Kopf, aber sein Blick hing weiter an der Geige, als würde sie ihn aus reglosen Augen betrachten, abwartend und lautlos wie ein im Dickicht verborgenes Tier. »Ich habe von einer Welt wie dieser geträumt«, sagte er leise, und auf einmal schien es ihm, als würde ihm tatsächlich jemand zuhören, als wären seine Worte nicht verloren, solange er sie nur aussprach. »Ich meine nicht so geträumt, wie man es nachts tut – sondern geträumt, als wäre es Wirklichkeit. Ich habe meinen Nachfeierabendgästen gern zugehört, wenn sie von anderen Welten und Phantasiewesen erzählten, und doch glaubte ich Antonio kein Wort, als er zu mir kam und von Bantoryn berichtete. Vielleicht wusste ich schon damals, dass er die Wahrheit sagte und dass es kein Zurück mehr geben würde, wenn ich erst einmal angefangen hätte, ihm wirklich zuzuhören.« Er wandte den Blick zum Fenster, zartroter Mohnstaub wehte ins Zimmer und tanzte über die Geige wie ein Schwarm winziger Elfen. »Und jetzt bin ich in meinem Traum gelandet, in meinem schrecklichen, schönen, wahren Traum, und frage mich: Was wird geschehen, wenn ich die Augen öffne und erwache? Was … «
    Ein lautes Niesen unterbrach ihn und ließ ihn so heftig zusammenfahren, dass er beinahe die Geige fallen gelassen hätte. Fassungslos starrte er auf das Instrument, denn ohne jeden Zweifel war das Geräusch aus ihm entwichen. Kaum hatte diese Erkenntnis ihn vollends erfasst, schüttelte sich die Geige in seiner Hand und brachte ihn dazu, sie mit einem Schrei auf sein Bett zu werfen und aufzuspringen. Ein empörtes Zischen drang aus dem Instrument, und Nando glaubte, seinen Augen nicht zu trauen, als eine winzige pelzige Hand mit dünnen Fingern und schwarzen Nägeln sich aus einem der Schalllöcher schob.
    Mit offenem Mund sah er zu, wie der Hand ein kleiner Körper folgte und schließlich der Kopf eines Wesens auftauchte, das einem Löwenäffchen ähnelte. Wie Nebel glitt sein Körper durch den Spalt. Sein Fell und seine buschige Mähne waren purpurfarben, und es hatte große, rapsfarbene Augen, deren Wimpern sich sanft nach oben bogen. Nando zog die Brauen zusammen. Diese Augen hatte er schon einmal gesehen, doch wo? Ein halb entrüstetes, halb amüsiertes Lächeln lag auf den Lippen des rätselhaften Wesens, das nun die Hände faltete, sich im Schneidersitz an den Hals der Geige lehnte und interessiert zu ihm aufsah.
    »Wer bist du?«, fragte Nando, und obgleich ihm die Frage etwas albern erschien angesichts der spöttisch erhobenen Brauen seines Gegenübers, fiel ihm partout keine andere ein.
    »Die Frage ist viel eher, was ich bin, wenn ich mir deinen wenig geistreichen Gesichtsausdruck gerade ansehe«, erwiderte das Wesen mit weiblicher Stimme und lachte keckernd. »Nun, vermutlich hast du geglaubt, dass wir alle aussehen wie die bezaubernde Jeannie, aber … Was soll ich sagen? Du hast dich geirrt. Das kann vorkommen, nicht wahr?«
    Nando sah zu, wie das Löwenaffenweibchen seine Zähne entblößte und auf eine so strahlende Art grinste, dass er lachen musste. »Du bist ein Dschinn?«, fragte er, und das Weibchen nickte.
    »Mein Name ist Kaya«, erwiderte sie. »Ich bin der Geist der Geige, und da mein Meister sie dir sozusagen vermacht hat, gehören wir jetzt zusammen.«
    Nando wusste von Antonio, dass es in der Schattenwelt nicht unüblich war, Instrumente mit Dschinns zu besitzen. Nur zu gut erinnerte er sich an die große Auswahl von beidem auf dem

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