Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
könnte?«, stellte die Großmutter nun doch die Frage, die Timea den ganzen Tag vor sich hergeschoben hatte. Die sie verdrängen wollte und die dennoch ständig nach einer Antwort verlangte. Nur während des Telefonats vorhin hatte Timea nicht daran gedacht.
Jetzt war es an der Zeit, sich der Frage zu stellen.
»Ja«, gestand Timea. »Es wäre Mika zuzutrauen, dass sie meinetwegen heiratet.« Ein Jahr wollte Mika verheiratet bleiben, für einen guten Zweck. Timea erzitterte. »Aber ich hoffe nicht, dass es so ist.«
»Wieso?«
Obwohl sich Timea mehrmals räusperte, blieb das Kratzen im Hals. »Das würde bedeuten, dass ich für sie nur einer ihrer Sozialfälle bin«, sagte sie heiser. »Und du weißt, wie ich dazu stehe.«
Adrienn Illay fuhr sich über die Haare. Rückte dort eine vermeintlich störrische Locke zurecht. Schob da eine unsichtbare Strähne hinters Ohr. »Warum bist du eigentlich all die Jahre für mich da gewesen?«, fragte sie nach zahlreichen Sekunden. »Und warum willst du, dass ich zu dir in deine neue Wohnung ziehe? Du könntest mich genauso gut in ein Altersheim stecken.«
»Bist du verrückt, Nagyi? Das würde ich doch niemals tun«, fuhr Timea erschrocken hoch.
»Aber warum?«
»Weil du meine Nagyi bist und …«
Die Großmutter schob ihre Hand über Timeas. »Siehst du, Liebes. Du tust so viel für mich, und ich hoffe nicht, dass du mich für einen Sozialfall hältst.«
Timea zog ihre Hand zurück. »Gut. Ich habe deine Andeutung verstanden. Nur kannst du die beiden Fälle nicht miteinander vergleichen.« Als sie sah, dass ihre Großmutter zu einer Rede ansetzte, schob sie geräuschvoll den Stuhl zurück, ging zur Küchenzeile und füllte ihre Tasse noch einmal mit heißem Wasser.
Adrienn Illay hatte offenbar ein Einsehen mit ihrer Enkelin. Denn sie verzichtete auf weitere Kommentare in diese Richtung. Allerdings war die folgende Frage auch nicht dazu angetan, Timea zu beruhigen.
»Sag mal, Kind«, begann die Großmutter, nahm einen Schluck von ihrem Grog – wohl um die Spannung zu steigern –, »was ist eigentlich, wenn Mika in einem Jahr nicht mehr verheiratet ist?« Sie nahm einen weiteren Schluck, erwartete offensichtlich noch keine Antwort von ihrer Enkelin. »Wird dann aus eurer Affäre eine offizielle Beziehung?« Die Gräfin Illay stellte ihr Glas ab und wartete.
Vielleicht war Alkohol doch eine Lösung, überlegte sich Timea. Sie lehnte sich gegen die Kante der Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was verstehst du unter einer Beziehung?«, fragte sie.
»Ich gehe davon aus, dass du nicht fünfunddreißig geworden bist, ohne das zu wissen«, erwiderte die Gräfin trocken. »Also hör damit auf, dich dumm zu stellen.«
Timea verzog das Gesicht. Sie sollte umdrehen und die Küche verlassen. Schließlich war sie ihrer Großmutter keine Rechenschaft schuldig. Was nach diesem verflixten Jahr sein würde, ging einzig und allein Mika und sie selbst etwas an; war aber bisher kein Thema zwischen ihnen gewesen. Timea wollte auch nicht darüber nachdenken. Sie wollte nur Zeit mit Mika verbringen.
»Ich glaube Mika, dass sie mich liebt«, sagte Timea, ohne es zu wollen. »Nur hat sie diese Vorstellung, dass jedem Geld oder ein pompöses Dach über dem Kopf mit entsprechender finanzieller Absicherung wichtig sein muss. So wie ihr.«
»Und was ist so schlimm daran?«, fragte Adrienn Illay stirnrunzelnd.
»Im Grunde nichts. Ich lege ja auch Wert darauf. In Maßen.« Timea stieß sich von der Anrichte ab und setzte sich wieder zu ihrer Großmutter. »Nur gehen Mika und ich da von völlig unterschiedlichen Maßstäben aus. Wenn du verstehst.«
»Das denkst du, weil du zu oft auf Menschen getroffen bist, die das Maß nicht vollbekommen konnten«, blieb Adrienn Illay bei der Metapher. »Schließ aber bitte nicht automatisch von diesen Menschen auf Mika. Sie ist nicht so.«
»Wenn du meinst, Großmutter«, erwiderte Timea.
»Timea Illay. Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du mir nach dem Mund redest, nur um deine Ruhe zu haben.« Die Gräfin nahm eine Haltung an, die nach Zurechtweisung aussah. »Eines muss dir klar sein. Wenn du nicht langsam damit aufhörst, in Mika ständig das Schlechte zu suchen, wirst du sie irgendwann verlieren.«
»Dann kann ich es auch nicht ändern, Großmutter«, erwiderte Timea. Ihr Blick war auf den Inhalt ihrer Tasse fixiert. Sie beobachtete, wie sich der Tee zunächst sanft hin und her bewegte. Dann immer stärker. Wie das
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